Architectured Materials

Dr. Ramona Langner, Stefan Reschke, Dr. Diana Freudendahl

Unter Architectured Materials (AM) versteht man ein Konzept der Werkstoffentwicklung, welches darauf abzielt, eine Brücke zwischen werkstoffwissenschaftlichen Prinzipien auf der einen und ingenieurwissenschaftlichen Herangehensweisen auf anderen Seite zu schlagen. Letztere haben üblicherweise die Optimierung von Form und Funktion eines Werkstücks mit Blick auf spezifische Anwendungen zum Ziel – basierend auf vorhandenen Werkstoffen. Dagegen beschäftigen sich Werkstoffwissenschaftler typischerweise mit der schrittweisen Verbesserung von Werkstoffeigenschaften, z.B. durch eine Veränderung von deren Chemismus, aber nicht notwendigerweise auf eine bestimmte Funktionalität hin optimiert. In der Entwicklung von AM werden beide Herangehensweisen verbunden. Ausgehend von einer gewünschten Funktionalität werden die strukturellen Merkmale eines Werkstoffs manipuliert, um diesen auf eine gewünschte Anwendung hin zuzuschneiden. Dieser Materials-by-Design-Ansatz wird bereits seit längerem unter anderem im Bereich der bionischen Materialien oder der Metamaterialien genutzt, als übergreifendes Paradigma breitet er sich aber zunehmend auch auf klassische Materialsysteme wie z.B. hochfeste Stähle aus. Durch diesen Ansatz lassen sich Kombinationen von Eigenschaften erzielen, die mit der herkömmlichen Werkstoffentwicklung nicht oder nur schwer hergestellt werden können. So weisen AM insbesondere eine hohe Schadenstoleranz und eine gute Schwingungsdämpfung auf und eignen sich daher unter anderem als Struktur- und Schutzwerkstoffe, für den Leichtbau und als akustische Isoliermaterialien.

Vorbild für AM sind extrem schadenstolerante biologische Stoffe wie der menschliche Zahnschmelz oder Muschelschalen. Ihre Basis bilden Bausteine aus sehr harten und steifen Materialien in Kombination mit einer zähen, elastisch verformbaren Matrix. Die Größe dieser Bausteine liegt im Bereich von ca. 100 Mikrometern bis zu 100 Millimetern, also weit oberhalb dessen, was üblicherweise unter einer Mikrostruktur verstanden wird. Sie werden in unterschiedlichen zwei- oder dreidimensionalen Anordnungen aneinandergefügt und durch die weiche Matrix verbunden. Die resultierenden Werkstoffverbunde sind häufig gezielt extrem heterogen, mit Gradienten in Chemismus und Mikrostruktur, und besitzen oft auch eine hierarchisch aufgebaute Struktur. Da die Deformation der harten Komponenten selbst sehr gering ist, werden die mechanischen Eigenschaften des resultierenden Werkstoffverbundes stark von der Bewegung der Bausteine gegeneinander und damit von Struktur, Zusammensetzung und Mechanik der Grenzflächen zwischen ihnen bestimmt. Durch teils chemische, teils mechanische Prozesse kommt es zu einer signifikanten Verfestigung des Materials. Gleichzeitig werden Risse, die in den einzelnen Bausteinen entstehen, an den Grenzflächen in ihrer weiteren Ausbreitung behindert und gezielt abgelenkt. Durch diesen Mechanismus liegen Zähigkeit und Schlagfestigkeit weit höher als bei herkömmlichen Werkstoffen vergleichbarer chemischer Zusammensetzung. Grundsätzlich eignet sich dieses Prinzip für alle Werkstoffklassen, und auch Kombinationen verschiedener Materialien sind möglich.

Ähnlich zu den natürlichen Vorbildern fand die Herstellung von AM zunächst hauptsächlich bottom-up durch den Aufbau einer Struktur aus den ungeordneten Bausteinen statt. Beispielsweise wurden verschiedene Schichtstrukturen aus Mikro- oder Nano-Plättchen durch Schichtabscheidung oder Zentrifugieren hergestellt. Gänzlich neue Möglichkeiten der Realisierung solcher Strukturen erschließen zunehmend verschiedene Techniken der additiven Fertigung. Insbesondere ist es von Vorteil, die härtere und die weichere Komponente gleichzeitig zu drucken und damit die Struktur in nur einem Schritt herzustellen. Auch eine Ausrichtung der Bausteine durch self-assembly oder mittels Magnetfeldern wurde bereits demonstriert. Allerdings ist es bisher noch nicht gelungen, die hohe Dichte und präzise Konformität der Bausteine und damit die hohe Schadenstoleranz der natürlichen Vorbilder zu erreichen.

Einfacher ist die Herstellung sogenannter Topologically Interlocked Materials (TIM). Diese bestehen aus zweidimensionalen Schichten von Bausteinen, die ohne eine elastische Matrix oder andere Verbindungselemente nur durch einen äußeren Rahmen in ihrer Anordnung gehalten werden. Die Bausteine werden durch einen speziellen Aufbau so verzahnt, dass sie sich gegenseitig in ihrer Bewegung einschränken. Durch die Größe der Bausteine von typischerweise mehreren zehn Millimetern lassen sich für ihre Fertigung herkömmliche Verfahren aus dem Bereich des Zerspanens nutzen. Allerdings erfolgt die Herstellung der TIM meistens noch von Hand, dafür lassen sich auf diese Weise extrem schlagzähe Materialien entwickeln. Bei einer Schädigung müssen nur einer oder wenige Blöcke ausgetauscht werden, während der Rest der Struktur intakt bleibt.

Daneben werden AM zunehmend auch mittels Top-down-Verfahren gefertigt, bei denen die strukturellen Merkmale nachträglich in ein bestehendes Werkstück eingebracht werden. Beispielsweise lassen sich transparente Werkstoffe wie Gläser durch eine Laser-Innengravur verstärken. Eine weitere Forschungsrichtung auf diesem Gebiet stellt die Verbesserung von Stählen und anderen Legierungen mittels starker plastischer Deformation dar. So konnten Stähle von enorm hoher spezifischer Festigkeit erzielt werden, ohne dabei Einbußen in der Duktilität hinnehmen zu müssen, indem zunächst ein Kohlenstoffgradient in den Stahl eingebracht und das resultierende Gefüge anschließend mittels Hochdruck-Torsion verformt wurde.

Zwar wurde bereits eine Vielzahl vielversprechender Strukturen demonstriert, doch bedarf es noch entscheidender Verbesserung für ihren verbreiteteren Einsatz. Zum einen stehen derzeit nicht genügend Verfahren für die Modellierung und Optimierung der Strukturen zur Verfügung, da sie entweder eine homogene Struktur voraussetzen oder nicht für die Simulation größerer Materialvolumen unter realistischen Lastkonfigurationen geeignet sind. Zum anderen fehlt eine systematischere Herangehensweise, beispielsweise in Form einer Strukturdatenbank. Auch im Bereich der Herstellungsverfahren selbst gibt es noch Verbesserungspotenzial. Insbesondere wird hier daran geforscht, die Größe der Strukturbausteine weiter zu verringern, auch mit dem Ziel hierarchische Strukturen mit AM auf verschiedenen Größenskalen zu erzeugen. Dadurch ließen sich die mechanischen Eigenschaften noch viel präziser einstellen. Langfristig erhofft man sich zudem, das große Potenzial von AM als multifunktionelle Werkstoffe ausschöpfen zu können, z.B. durch die Ergänzung der herausragenden mechanischen durch bestimmte elektrische oder magnetische Eigenschaften. Dadurch könnte es möglich sein, intelligente Werkstoffe zu kreieren, die sich durch eine Rekombination der Bausteine aktiv an eine Änderung der Umgebungsbedingungen anpassen können.

*Fraunhofer Institut für
Naturwissenschaftlich-Technische
Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
berichtet in jeder Ausgabe exklusiv
über Werkstofftrends

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