Biofilme als Bauarbeiter

Rotalgen bewegen sich zum Licht hin und scheiden dabei Ketten aus Zuckermolekülen aus. Durch zeitlich veränderliche Lichtmuster gewinnen die Forscher und Forscherinnen aus diesen langen, feinen Polymerfäden maßgeschneiderte Schablonen, die sie für Funktionskeramiken verwenden. (Foto: v. Opdenbosch/TUM)

Wegen möglicher Gefahren für Mensch oder Material werden Biofilme meist als Problem bekämpft. Doch verfügen diese Gemeinschaften von Algen, Pilzen oder Bakterien über wissenschaftlich und technisch interessante Eigenschaften. Ein Team der Technischen Universität München (TUM) beschreibt Verfahren aus der Biologie, die Biofilme als Bauarbeiter von Strukturschablonen für neue Werkstoffe einsetzen, welche die Eigenschaften natürlicher Materialien besitzen. Dies war bislang nur eingeschränkt möglich.

Ob Holz, Knochen, Perlmutt, oder Zähne – über Jahrmillionen sind solche Materialien durch die Evolution nach dem Prinzip angepasster Stabilität bei möglichst geringem Gewicht optimiert worden. Für viele technologische Entwicklungen lieferte die Natur die Blaupause. Beispiele dafür sind Flugzeugflügel, der Klettverschluss oder die Oberflächenversiegelung per Lotuseffekt. Doch erreichen die Nachbauten nicht die strukturelle Komplexität des natürlichen Originals.

„In der Natur finden sich viele Materialien mit Eigenschaften, die künstliche Stoffe in dieser Form nicht erreichen”, sagt Professor Cordt Zollfrank, der mit seinem Team am Lehrstuhl für Biogene Polymere am TUM Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit (TUM CS) an Grundlagen für die Entwicklung neuer Werkstoffe forscht.

Größte Probleme auf der kleinsten Ebene

Als Schnittstelle zwischen Biologie und Technik sucht die Bionik nach dem Vorbild der Natur Lösungen für technische Probleme. So lange sie sich dabei darauf beschränkte, die Formen aus der Natur wie beispielsweise bei der Konstruktion von Flugzeugflügeln oder Schiffsrümpfen als Vorlage für ihre Entwicklungen zu nehmen, hielten sich die Probleme in Grenzen. Anders verhält es sich bei der Nachahmung der Materialeigenschaften natürlicher Baustoffe. Denn diese befinden sich in den inneren Strukturen verankert, wo Fasern über viele Größenordnungen und über verschiedene hierarchische Ebenen miteinander verknüpft sind.

„Üblicherweise finden sich die hauptsächlichen Ursachen der mechanischen Materialeigenschaften wie Elastizität, Festigkeit oder Zähigkeit auf den kleinsten Ebenen dieser Hierarchien, vor allem auf der Nanometer-Skala”, beschreibt Dr. Daniel Van Opdenbosch, Gruppenleiter an Zollfranks Lehrstuhl, und einer der Autoren des Artikels, das Hauptproblem bei der Übertragung auf technische Problemlösungen. Wenn aber die Mikroorganismen selbst oder ihre Ausscheidungen den Werkstoff bilden, werden die technisch schwierigen komplexen Vernetzungen gleich mitgeliefert.

Zukunft der Bionik

In einem Artikel für das Fachmagazin „Advanced Materials” stellen die Forscherinnen und Forscher der TU München gleich eine Reihe von Verfahren aus der Biologie vor, die mit Licht, Wärme, speziell präparierten Substraten oder anderen Reizen die Bewegungsrichtung von Mikroorganismen in ganz bestimmte Bahnen leiten. „Für die Materialforschung sind diese Erkenntnisse aus der Biologie zur Mikrobensteuerung durch gezielte Reize zukunftsweisend“, sagt Professor Cordt Zollfrank. Denn damit bestehe die Möglichkeit, aus den Mikroben selbst oder ihren Sekreten maßgeschneiderte Schablonen für neue Materialien mit natürlichen Strukturen herzustellen. „Mit unserem Artikel wollen wir zeigen, wo in den biologisch inspirierten Materialwissenschaften die Reise hingeht”, sagt der Professor.

Berührungsfreie Formgebung

In Straubing wendet Daniel Van Opdenbosch mit seiner Gruppe bereits einige dieser Methoden erfolgreich an. Im Rahmen eines Reinhart Koselleck-Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) machen sich die Forscher und Forscherinnen dabei die speziellen Eigenschaften von Rotalgen zu Nutze, deren Bewegungsrichtung vom Lichteinfall abhängt, und die Ketten aus Zuckermolekülen ausscheiden. Durch zeitlich veränderliche Lichtmuster, die sie in das Nährmedium der Algen projizieren, gewinnen die Forscher aus diesen langen, feinen Polymerfäden maßgeschneiderte Schablonen, die sie für die Herstellung von Funktionskeramiken verwenden.

Doch lassen sich mithilfe der Algen in beliebig viele Formen für ein breites Anwendungsfeld gestalten. Dieses reicht von Elektroden für Batterien über neue Bildschirm- und Displaytechnologien bis hin zu Anwendungen in der Medizin etwa als Knochen- und Gewebeersatz. Das Wachsenlassen komplexer Mikrostrukturen wie ganzen Bauteilen und anderen hierarchisch strukturierten Materialien liegt zwar noch im Bereich des Visionären, rückt aber durch die Grundlagenforschung der Straubinger Wissenschaftler der TUM in Reichweite.

Weitere Informationen: www.cs.tum.de

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