Forscher aus dem Saarland und Österreich verbessern Grundlagen für Simulation von Energie-Speichern erheblich

Der simulierte Kohlenstoffwürfel mit seinen unregelmäßigen Poren und den geladenen Ionen (blau und rot) ist eine exakte Wiedergabe einer natürlichen Kohlenstoffprobe, die die saarländischen und österreichischen Forscher mit Röntgenstrahlen durchleuchtet haben. Die Berechnung der Struktur hat mehrere Monate gedauert. Foto: INM/Bellhäuser

Kamerablitze, Flugzeugtüren, Systeme zur Bremsenergie-Rückgewinnung – Sie funktionieren heute auf Grundlage ultraschneller Speichertechnologie, die auf der Ionenspeicherung in einer porösen Kohlenstoff-Elektrode basiert – so genannte Superkondensatoren. Erheblich verbessern könnte man die Effizienz solcher Energiespeicher, wenn man das Speichermedium, den Kohlenstoff, so gestalten könnte, dass möglichst viele Ionen auf engem Raum Platz finden. Saarbrücker Wissenschaftler um den Professor für Energie-Materialien, Volker Presser, haben nun gemeinsam mit Kollegen aus Österreich ein Verfahren entwickelt, das die Beschaffenheit einer solchen Kohlenstoff-Elektrode und die Abläufe in ihrem Inneren viel präziser am Computer nachbilden kann als bisherige – idealisierte – Computersimulationen. Damit könnten in Zukunft sogar aufwändige und teure Laborexperimente unnötig werden.

Sie ist der Gordische Knoten, der einer nachhaltigen Nutzung erneuerbaren Energien noch die Luft abschnürt: die Energiespeicherung. Aus Sonne, Wind und Wasser ließe sich eigentlich mehr als genug Energie gewinnen. Aber wenn gerade keine Sonne scheint und kein Wind weht, ist trotzdem oft nicht genug Reserve vorhanden, um den Energiebedarf zu decken. Der Grund liegt auch in den Speichermedien. Gängige Akkus, etwa auf Lithium-Ionen-Technologie basierend, brauchen zu lange zum Be- und Entladen, um überschüssige Energie schnell aufnehmen und wieder abgeben zu können.

Ein Schwert, das diesen Gordischen Knoten zerschlagen könnte, sind Doppelschicht-Kondensatoren, auch Supercapacitors oder kurz Supercaps genannt. Die in solchen Systemen verwendeten Kohlenstoff-Elektroden können Strom viel schneller speichern und abgeben als herkömmliche Akkus. Sie haben aber einen entscheidenden Nachteil: Schaut man sich zwei gleich große Energiespeicher an, eine herkömmliche Batterie und einen Supercap, kann letzterer kaum zehn Prozent der Energie speichern, die in der Batterie Platz findet.

Das Problem liegt in der Beschaffenheit des Kohlenstoffs, aus dem der Supercap besteht: Die elektrische Energie wird in Form von angelagerten Ionen gespeichert, also positiv und negativ geladene Teilchen, und zwar in den Poren, die den Kohlenstoff durchziehen wie ein kompliziertes Höhlensystem ein Bergmassiv. Es gibt riesige Ausbuchtungen und winzige Höhlen, enge Kanäle und breite Boulevards, alles in einer zufälligen Anordnung, die sich von Stück zu Stück unterscheidet. Wie und wo sich die geladenen Ionen genau in diesem Gewirr aus Kanälen, Poren und Löchern verteilen, konnten Forscher bisher nur unzureichend vorhersagen. Dabei ist die Frage ihrer Verteilung für die Effizienz der Energiespeicherung elementar. Zugrunde liegt ein einfaches physikalisches Prinzip: Je besser die verfügbare Oberfläche genutzt werden kann, desto mehr Ionen passen in eine Kohlenstoff-Elektrode oder, umgangssprachlich formuliert, desto mehr Strom kann gespeichert werden.

Computersimulationen beruhen aufgrund der Komplexität poröser Kohlenstoffmaterialien bisher aber nur auf Modellen, in denen die Poren idealisiert, also zum Beispiel einer einfachen Symmetrie folgend, verteilt sind. Mit dem Aufbau eines echten Stücks Kohlenstoff hat diese idealisierte Darstellung kaum etwas gemeinsam. „Das führte dazu, dass es bisher kaum Arbeiten auf Grundlage realer Materialien gibt“, erklärt Volker Presser, Professor für Energie-Materialien an der Universität des Saarlandes und Leiter eines Programmbereichs am INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken.

Die Entwicklung neuer, effizienterer Supercap-Energiespeicher ist daher mühsam und langwierig und mit aufwändigen Experimenten verbunden. Aber das Team aus Materialwissenschaftlern, Chemikern und Physikern der Saar-Uni, der Montanuniversität Leoben, Universität Wien und TU Graz hat nun einen Weg gefunden, die Simulation erheblich zu vereinfachen, und eine leistungsstarke Methode entwickelt, um neue Materialien am Computer zu simulieren, deren Aufbau dem echter Kohlenstoffe entspricht.

Dabei konnten die Forscher eine grundlegende Erkenntnis gewinnen: Die Ionen drängen sich immer in die Poren, in die sie gerade noch hineinpassen. Volker Presser bezeichnet diese Eigenschaft augenzwinkernd als „Nano-Kuscheln“. Außerdem streifen die Ionen Teile ihrer so genannten Solvathülle ab. Das sind zum Beispiel Wassermoleküle, die den Ionen, die in einer wässrigen Lösung schwimmen, fest anhaften. „Mit diesen Erkenntnissen können wir in Zukunft viel genauere Designs für Speichermaterialien und für Materialien zur Wasseraufbereitung entwerfen“, sagt Nicolas Jäckel, der die Studie maßgeblich im Rahmen seiner Doktorarbeit mitgestaltet hat. Künftig könnte es dank der saarländisch-österreichischen Zusammenarbeit gelingen, neue, viel effizientere Materialien zu entwerfen, ohne aufwändige Laborversuche durchführen zu müssen. „Das vereinfacht unsere Forschung ungemein und ermöglicht es, auch optimierte Strukturen zu untersuchen, die wir noch gar nicht im Labor herstellen können“, ergänzt Volker Presser.

Um zu ihren bahnbrechenden Erkenntnissen zu gelangen, mussten Nicolas Jäckel, Volker Presser und die Kollegen aus Österreich allerdings erstmal selbst viel Aufwand betreiben. Sie durchleuchteten drei Kohlenstoff-Elektroden mit Röntgenstrahlung und errechneten auf der Grundlage des Signals, das dabei herauskam, detailgetreue Computer-Nachbildungen mit jeweils 16 Nanometer Kantenlänge und exakter Position der Poren. Die Simulation einer einzigen Probe beschäftigte die Supercomputer der Österreicher mehrere Monate lang. „Selbst in der vorlesungsfreien Zeit liefen in Leoben die Rechner heiß“, erinnert sich Nicolas Jäckel. Die 16 millionstel Meter Kantenlänge reichen dabei aus, um eine charakteristische Elektrode mit all ihren Eigenschaften nachzubilden. Dadurch war es den Forschern auch möglich, die exakte Verteilung und das Verhalten der Ionen vorherzusagen, die sich mit ihrer etwas über einem Milliardstel Meter Größe nochmal um den Faktor 1000 unterhalb der Dimension des Kohlenstoffwürfels bewegten.

Bis aus ihren Erkenntnissen tatsächlich eine nutzbare Technologie entstehen kann, wird es noch viele Jahre dauern. Denn bei den Arbeiten der Forscher von Saar-Uni und INM handelt es sich um Grundlagenforschung, die darauf abzielt, naturwissenschaftliche Abläufe und Regeln überhaupt erst zu entdecken und zu verstehen. Dieses Verständnis ist jedoch Grundlage jedes Fortschritts in industriellen Anwendungen.

Die Studie Quantification of ion confinement and desolvation in nanoporous carbon supercapacitors with modelling and in-situ X-ray scattering ist am 30. Januar 2017 im Fachmagazin Nature Energy erschienen ( DOI: 10. 1038/nenergy. 2016. 215) . Link zur Online-Version: http://dx.doi.org/10.1038/nenergy.2016.215

Weitere Informationen: www.uni-saarland.de

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