Mesokristalle

Dr. Ramona Langner, Dr. Diana Freudendahl, Stefan Reschke

Unter einem Mesokristall (engl. Mesocrystal bzw. Mesoscopically Structured Crystal) versteht man eine dreidimensional periodische Anordnung aus Nanopartikeln, die – analog zu Kristallstrukturen aus Atomen und Molekülen – geordnet zu einem festen Gefüge zusammengelagert sind. Während die einzelnen Nanopartikel eine Größe von wenigen bis einigen hundert Nanometern aufweisen, liegen die Maße der aus den Partikeln aufgebauten Mesokristalle zumeist im Bereich einiger Mikrometer. Sie befinden sich im Übergangsbereich zwischen einkristallinem Material auf der einen und polykristallinem Material auf der anderen Seite und bieten Eigenschaften, die sich von beidem deutlich unterscheiden. Insgesamt ähneln ihre Eigenschaften denen von Nanokristallen – sie weisen ebenfalls eine hohe Porosität und eine große Oberfläche auf. Auch weitere vorteilhafte Eigenschaften von Nanopartikeln wie bestimmte optische oder elektronische Eigenschaften können im Verbund der Mesokristalle erhalten bleiben. Gleichzeitig weisen sie nicht die gesundheitlichen Gefahren auf, die von Nanopartikeln aufgrund deren geringer Größe potenziell ausgehen können, und sie sind leichter zu handhaben sowie mechanisch stabiler. Deshalb könnten Mesokristalle zukünftig insbesondere Nanomaterialien in einer Vielzahl an Anwendungen ersetzen.

Nach ihrer Erstbeschreibung im Jahr 2005 zeigte sich, dass eine Reihe natürlicher Materialien aus Mesokristallen besteht. Ein Beispiel dafür ist das innere Skelett der Seeigel, welches aus Calcit-Mesokristallen in einer Matrix aus amorphem Calciumcarbonat besteht. Auch andere natürliche Materialien wie z.B. die Schalen bestimmter Eier oder Muscheln bestehen aus Mesokristallen. Nach und nach wurden diese und andere Mesokristalle auch im Labor erzeugt, indem eine organische Matrix genutzt wurde, um die entstehenden Nanopartikel während der Kristallisation dreidimensional anzuordnen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, passende Verbindungen aus einer Lösung oder einem Gel zu kristallisieren, so dass zwischen den Partikeln herrschende Dipolkräfte zu einer kristallographischen Ausrichtung führen. Insgesamt befindet sich die Forschung in diesem Bereich aber noch am Anfang, da die zugrundeliegenden Mechanismen nur ungenügend verstanden sind. Für ein besseres Verständnis sind aufwändige Untersuchungen notwendig, die verschiedene Analyseverfahren kombinieren. Zudem lassen sich Mesokristalle aufgrund ihrer Einkristall-artigen Struktur – die unter anderem auch entsprechende Beugungsbilder erzeugt – nicht immer eindeutig identifizieren.

Werkstoffe, die bereits als Mesokristalle hergestellt werden konnten, sind hauptsächlich Halbleiter von technischer Bedeutung. Dazu zählen insbesondere Metalloxide wie Zinkoxid, aber auch die sogenannten Perovskite wie z.B. Blei-/Strontiumtitanat. Weitere sind z.B. Lanthanfluorid, Galliumphosphat, Kadmiumsulfid/-selenid oder Silber. Daneben wurden auch erste organische Polymerverbindungen z.B. für die Gassensorik in Mesokristallform synthetisiert. Denkbar ist es auch, mehrere Verbindungen in einem Mesokristall zu kombinieren – z.B. in organisch-anorganischen Hybridstrukturen – und dadurch verschiedene Funktionalitäten in einem Werkstoff zu vereinen. Auch hier ist die Sensorik ein interessantes Anwendungsgebiet, wo sich z.B. für Fluoreszenz und für Röntgenstrahlung empfindliche Materialien kombinieren ließen.

Aufgrund ihrer sehr großen katalytisch wirksamen Oberfläche – ähnlich zu Nanopartikeln – werden Mesokristalle als sehr vielversprechend für verschiedene katalytische Anwendungen gesehen. Ein großes Forschungsgebiet stellt die Nutzung von Titandioxid-Mesokristallen für die Photokatalyse dar. Dies könnte unter anderem im Bereich der Herstellung von Wasserstoff oder bei der Luft- und Abwasserreinigung zu Verbesserungen führen. Auch eine Kombination mit Edelmetall-Nanopartikeln, die ebenfalls als Katalysatoren wirken können, ist möglich, indem diese an die Kanten der Mesokristalle angelagert werden. Aber selbst ohne eine reaktive Oberfläche könnten Mesokristalle, z.B. aus Calcit, als sehr einfach zu entfernendes Templat für komplexe Reaktionen dienen.

Auch von ihrem Einsatz im Bereich der Energieerzeugung und –speicherung verspricht man sich große Vorteile. Beispielsweise könnte mit der Nutzung als Elektrodenmaterial die Langzeitstabilität von Lithium-Ionen-Akkumulatoren verbessert werden, da durch die spezielle Struktur der Mesokristalle die während der Be- und Entladevorgänge unvermeidlichen Volumenänderungen sehr gut kompensiert werden können. Daneben wurde gezeigt, dass z.B. Akkumulatoren basierend auf mesokristallinen Zinnoxidelektroden eine fünfmal so hohe Kapazität aufweisen wie konventionelle Akkus und damit nahe am berechneten Maximalwert liegen. Aber auch die herkömmlichen Lithiumverbindungen könnten in Mesokristallform genutzt weitere Vorteile bringen.

Abgeleitet von den genannten biologischen Materialien könnten zukünftig neue Strukturmaterialien entwickelt werden, in denen eine mesokristalline Komponente für Härte und Festigkeit sorgt, während eine amorphe Komponente gleichzeitig Elastizität und Schockbeständigkeit verleiht. Könnte dieses Prinzip zum Beispiel auf Zement übertragen werden, würde dies gänzlich neue Möglichkeiten für das Bauwesen eröffnen. Auch eine Nutzung dieses Prinzips für die Herstellung neuer Materialien für biomedizinische Anwendungen ist angedacht, z.B. in Form von Stützstrukturen für Gewebe oder als Knochenersatz. Die hohe Porosität der Mesokristalle könnte sie im Bereich der Medizin auch für Drug-Delivery-Systeme geeignet machen.

Weitere Anwendungen könnten im Bereich der Optoelektronik und Sensorik liegen. Die üblicherweise in Gassensoren eingesetzten Halbleitermaterialien wie z.B. Kobaltoxide oder Kupferoxide wurden zum Teil bereits als Mesokristalle synthetisiert. Zukünftige Entwicklungen könnten es möglich machen, Mesokristalle gezielt aus unterschiedlichen metallischen und halbleitenden Nanopartikeln herzustellen, deren Eigenschaften nicht nur von den Partikeln selbst, sondern auch von der Wechselwirkung zwischen ihnen gesteuert werden. Auf diese Weise könnte eine Art Werkzeugkoffer für das modulare Design neuartiger Elektronik und Optoelektronik entwickelt werden.

Zunächst ist zu erwarten, dass sich Mesokristalle vor allem in Anwendungen durchsetzen, in denen herkömmliche Werkstoffe desselben Chemismus bereits eingesetzt werden. Aufgrund ihrer im Vergleich zu allen anderen Werkstoffen aber sehr ungewöhnlichen Eigenschaften ist davon auszugehen, dass mit einem besseren Verständnis ihrer Synthese und Eigenschaften darüber hinaus noch viele weitere neue Anwendungsfelder erschlossen werden können. In Einzelfällen kann dies sehr zeitnah geschehen, die gezielte Synthese und Manipulation von Mesokristallen als maßgeschneiderte Werkstoffe ist jedoch eine mittel- bis langfristige Perspektive.

*Fraunhofer Institut für
Naturwissenschaftlich-Technische
Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
berichtet in jeder Ausgabe exklusiv
über Werkstofftrends

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