Herbert Werner und Ingo Lappat. Meuselwitz Benjamin Ajrich, Freiberg
Einleitung
Die Basisnorrn für Gusseisen mit Kugelgraphit (GJS) DIN EN 1563 [1] wurde vor ca. 2 Jahren um die rnischkristallverfe-stigten Qualitäten GJS 450-18, 500-14 und 600-10 erweitert. Damit stehen neben den klassischen Güten GJS 450-10. 500-7 und 600-3 Sorten mit verbessertem Eigenschaftsniveau zur Verfügung.
Die neu aufgenommenen rein ferritischen Güteklassen GJS 450-18, 500-14 und 600-10 [Abbildung 1] werden durch einen angehobenen Si-Gehalt erzeugt und zeichnen sich im Vergleich zu konventionellen ferritischperlitischen Varianten durch folgende Eigenschaften aus:
- Erhöhung der Duktilität ohne Festigkeitsverlust
- Steigerung des Streckgrenzenverhältnis (Rp0,2/Rm) von ca. 0,6 auf ca. 0,8
- Verbesserung der Bearbeitbarkeit durch ein homogen ferritisches Grundgefüge (genormte Härtedifferenz AHBW = 30; vorher zw. 50-80).
Im Zuge der wachsenden kundensei-tigen Nachfrage wurden durch die Engeneeringabteilung der Meuselwitz guss Eisengiesserei Versuchsreihen durchgeführt, um diese Werkstoffe prozesssicher herzustellen und an spezielle Kundenanforderungen anzupassen.
Stand der Technik
Gusseisen mit Kugelgraphit ist ein stabil erstarrender Eisengusswerkstoff mit sphäroidischer Kohlenstoffrnorphologie.
Diese Graphitform führt zu einer mini-mierten inneren Kerbwirkung gegenüber dem klassischen Grauguss (GJL) und garantiert Zugfestigkeiten von Rm = 350 – 900 MPa bei Dehnungen von A = 22 – 2%. Erfahrungsgemäß erfolgt die Definition des Eigenschaftsniveaus über das Ferrit-Perlit-Verhältnis. Dabei kann mit Hilfe von Legierungselementen wie beispielsweise Mn, Cu oder Sn der Anteil an Perlit im Grundgefüge beeinflusst, und auf diesem Wege in Form eines steigenden Perlitanteils zur Verfestigung beigetragen werden. Mit steigender Festigkeit sinken allerdings die duktilen Eigenschaften. Aufgrund von variierenden Abkühlungsverhältnissen bei geometrisch komplexen Bauteilen ist ein definiertes Ferrit-Perlit- Verhältnis im Gusszustand nicht in allen Fällen darstellbar. Abweichungen diesbezüglich äußern sich in einer wechselnden mechanischen Bearbeitbarkeit. Mischkristallverfestigte Gusseisenqualitäten werden dagegen über die Zugabe von Silicium erzeugt, das den Ferrit stabilisiert, ihn verfestigt und gleichzeitig die Perlitbildung unterdrückt. (Abbildung 2) verdeutlicht die entstehenden rnikro- strukturellen Unterschiede.
Während sich die konventionellen Silizi-umgehalte im Gusseisen mit Kugelgraphit zwischen 1,9-2,7% bewegen, enthalten die modifizierten Sorten bis zu 4,3% Silizium. Der Wirkungsmechanismus ist auf zwei Haupteffekte zurückzuführen:- Zunehmende Ferritisierung des Grundgefüges
- Mischkristallverfestigung des stabili-sierten Ferrits
Abbildung 3 visualisiert die Aufweitung des stabilen eutektoiden Umwandlungs-bereichs (Austenit -^ Ferrit + Graphit) mit steigendem Si-Gehalt. Damit begünstigt sich die Ferritbildungauch bei schnelleren Abkühlungsgeschwindigkeiten (dünnere Wandstärken), und eine homogene metal-lische Grundmatrix entsteht. Aufgrund der zunehmenden Gefügehomogenität (vgl. Abbildung 2) ist anhand der MikroStruktur anschließend keine eindeutige Aussage über die zu erwartende mechanische Eigenschaft zu treffen.
Die Mischkristallverfestigung wird durch unterschiedliche Atomradien von Eisen und Silicium hervorgerufen. Silicium besetzt reguläre Gitterplätze der kubischraumzentrierten Elementarzelle (Ferrit) und bildet daher einen, auf atomarer Sichtweise verspannten Substitutions-mischkristall (vgl. Abbildung 4). Damit steigt mit zunehmenden Si-Gehalten der Grad der Verfestigung. Aktuelle Veröffentlichungen [4, 5, 6] beschreiben die Auswirkungen eines steigenden Si-Gehaltes (bis zu 6%) auf mechanische Eigenschaften von GJS.
Daraus ist abzuleiten, dass eine sehr exakte Einhaltung der chemischen Zusammensetzung Grundvoraussetzung ist, um diese Werkstoffe prozesssicher herzustellen.
Versuchsdurchführung bei Meuselwitz GUSS
Um die Auswirkungen einer veränderten Schmelztechnologie auf das für die Gie-ßerei typische Produktionsspektrum zu übertragen, fanden Voruntersuchungen an einer eigens entworfenen Flügelprobe (Abbildung 6) statt.
Mit Hilfe dieses Probekörpers können Werkstoffprüfungen in verschiedenen Wanddicken (hier 40 – 100mm) durchgeführt werden. In Abbildung 7 finden sich die Verläufe von Zugfestigkeit, Streckgrenze und Bruchdehnung für Wanddicken von 80 und 100mm.
Aus den Voruntersuchungen kann ein Grenzwert des zulässigen Si-Gehalts zwischen 4,1-4,4 -wt.% definiert werden. Zu erkennen ist, dass der Steilabfall der Deh-nung dem Festigkeitsverlust vorauseilt. Ein Vergleich zwischen den normativen Mindestanforderungen und den ersten erhaltenen Festigkeiten und Dehnungen im Versuchsteil liefert Abbildung 8. Dieser Vergleich zeigt, dass die Anforderungen eingehalten, und in Verbindung mit der Schmelztechnik bei MGE in den meisten Fällen auch deutlich überschritten werden. Für die mischkristallverfestigen GJS-Werkstoffe existieren bei Wanddicken jenseits von 60mm keine normativen Richtwerte, was einen Vergleich diesbezüglich verhindert.

Abbildung 8 – Vergleich der Mindesteigenschaften (Richtwerte aus Gussstückproben) lt. DIN EN 1563 (hellgrün und hellblau) mit den erhaltenen Eigenschaften der Flügelprobe (dunkelgrün und dunkelblau)
Zusammenfassung
Mischkristallverfestigtes GJS zeichnet sich durch eine Reihe von Vorteilen aus. Primär ist eine Erhöhung von Zugfestigkeit und Streckgrenze zu verzeichnen. Des Weiteren ist das Niveau der Dehnung dem von ferritisch-perlitischen GJS-Sorten deutlich überlegen. Metallurgisch ist ein Si-Grenzwert von ca. 4,3% einzuhalten, um das Gebiet des Eigenschaftsverlusts zu vermeiden. Ferner liefert ein gesteigertes Streckgrenzenverhältnis neue Möglichkeiten für den Konstrukteur, das Leichtbaupotential von Gusseisenwerkstoffen weiter auszuschöpfen.

Abbildung 9: Rotornabe einer Windenergeianlage aus mischkristallverfestigten GJS, Gewicht ca. 16000 kg
Diese Voruntersuchungen und erste Ab-güsse im Hause Meuselwitz GUSS konnten den aktuellen Stand der Technik am Gussteil verifizieren. Die skizzierten Erkenntnisse zeigen, dass sich mischkri-stallverfestigte GJS-Werkstoffe auch für den Einsatz im Bereich Großguss qua-lifizieren. Im Rahmen weiterführender Untersuchungen zur prozesssicheren Herstellung dieser Werkstoffgruppe, wurde es durch geeignete metallurgische Maßnahmen möglich, auch bei größeren Wandstärken entsprechende Kennwerte nachzuweisen. Weiterhin konnten von der DIN-Norm abweichende Variationen erstellt werden, die an spezielle Anforderungen des Kunden angepasst wurden. Derzeit werden bei Meuselwitz GUSS die mischkristallverfestigten Gusseisen mit Kugelgraphit für Gussteile aus den Bereichen Mühlenherstellung (Zement, Kalkstein, Kohle), Kunststoffeinspritzmaschinen, Pressenbau, Antriebstechnik und für Windkraftanlagen eingesetzt. Abbildung9, 10 und 11
Quellen:
[1] D. D. l. f. N. e.V.. „D1N EN 1563:2011 Gießerei-wesen – Gusseisen mit Kugelgraphit,“ Beuth Verlag GmbH, 10772 Berlin. 2012. [2] Rio Tinto Iron & Titanium Inc.. Sorelmetal -Gusseisen mit Kugelgraphit, Montreal, Quebec, 200-1.
[3] D. R. Askeland, Materialwissenschaften, Springer, 2010.
[41 H. Löblich und W. Stets, ..Werkstoff- und fertigungstechnische Grundlagen der Herstellung und Anwendung von hoch siliciumhaltigem Gusseisen mit Kugelgraphit, Teil 1.“ Giesserei, Nr. 100. pp. 30-47. 07 2013.
[5] H. Löblich und W. Stets, „Werkstoff- und fertigungstechnische Grundlagen der Herstellung und Anwendung von hoch siliciumhaltigem Gusseisen mit Kugelgraphit. Teil 2.“ Gießerei, Bd. 100, pp. 42-53, 08 2013.
[6] R. Larker, „Solution strengthened ferritic duc-tile iron ISO 1083/JS/500-10 provides superior consistent properties in hydraulic rotators.“ China Foundry, pp. 343-351, 11 2009.