Trotz Lähmung selbstbestimmt gehen

Bei »Servus RGS Adapt« haben die IPA-Wissenschaftler das bestehende System ohne Knieeinheit um Sensoren, Aktoren und eine dritte Bodenplatte erweitert.

Erweitertes Exoskelett überwindet Steigungen von bis zu sieben Grad

In Deutschland meistern rund 70 000 Querschnittsgelähmte ihren Alltag im Rollstuhl. Ihnen könnte ein neuartiges Exoskelett schon bald auf die Beine helfen. In einem vom BMWi geförderten Projekt hat das Fraunhofer IPA das Gestell »Servus RGS« der Firma ORTHO-SYSTEMS um eine Adaption erweitert, mit der Patienten nicht nur gehen, sondern auch Steigungen von bis zu sieben Grad überwinden können.

Mit »Servus RGS« hat die Firma ORTHO-SYSTEMS im Jahr 2012 eine vielversprechende Alternative zum Rollstuhl auf den Markt gebracht. Das reziproke Exoskelett aus Hüftgürtel, Spielbeinen und Fußeinheiten ermöglicht es Querschnittsgelähmten, selbstgesteuert zu gehen. Maßgeblich dafür ist ein Beckenrotationshüftgelenk im Hüftgürtel. Sobald der Patient sein Gewicht zur Seite verlagert, löst das Gelenk einen Wippmechanismus aus und das gegenüberliegende Spielbein kippt nach vorn. Auf diese Weise kann der Patient »reziprok« Schritt für Schritt gehen. Da das System rein mechanisch arbeitet, gibt der Träger Geschwindigkeit und Art der Bewegung selbst vor.

»Servus RGS« soll auch auf unebenem Gelände funktionieren

Eine Schwachstelle gibt es aber noch. Servus RGS ist nur auf flachen Ebenen anwendbar. Sobald der Träger eine größere Steigung betritt, droht er umzukippen. Daher eignet sich das Exoskelett nur für den Gebrauch auf flachen Ebenen. Das sollte sich in einem Projekt mit dem Fraunhofer IPA ändern. Ziel war es, mit dem Hilfsmittel Neigungen von bis zu sieben Grad – die deutschlandweite Richtlinie für Barrierefreiheit – zu überwinden. Dafür sollte das Team um Projektleiter Marius Fabian eine Adaption entwickeln, die die Neigungen erfasst und sicher passiert. Die erweitere Lösung »Servus RGS Adapt« sollte außerdem kostengünstig sein.

Bei ihrer Adaption statteten die Wissenschaftler die Fußeinheiten des Gehskeletts mit Sensoren, Aktoren und einer dritten Bodenplatte aus. Bei der Sensorik kombinierten sie eine IMU (Inertial Measurement Unit) mit Distanzsensorik. Für Letzteres verwendeten sie Infrarot- und Ultraschallsensoren, die dafür sorgen, dass die Einheit die Untergrundneigung auch bei ungünstigen Lichtbedingungen sicher erfasst. Ein eigens dafür entwickelter Algorithmus ermittelt den Neigungswinkel und berechnet, wie er sich ausgleichen lässt. Als Aktoren dienen zwei Getriebemotoren mit einem speziell von ORTHO-SYSTEMS entwickelten Kreuzgelenk, das die Übersetzung vornimmt. Die Gelenkkonstruktion ermöglicht durch eine große Selbsthemmung, die Fußeinheit in der Standphase zu fixieren. Während der Schwungphase wird das Spielbein über die Stellmotoren an den Untergrund angepasst. Mit dieser Methode kann das Exoskelett Neigungen von bis zu sieben Grad überwinden.  Patienten sind also in der Lage, sich deutschlandweit in allen barrierefreien Umgebungen  fortzubewegen. Das Funktionsmuster des erweiterten Systems wiegt aktuell rund 22 Kilogramm und kostet ca. 28 000 Euro. Damit eigne es sich für viele Patienten und sei für Krankenkassen bezahlbar, informiert Projektleiter Fabian.

Die Entwicklung geht weiter

Bei Testreihen auf dem Labortisch sowie Gangtests im Labor und im Freien konnten die Stuttgarter Wissenschaftler nachweisen, dass ihre Adaption funktioniert. Nun geht es darum, die Dynamik zu erhöhen. Diese sei laut Fabian mit 0,15 m/s noch eher langsam, lasse sich aber steigern. Weiterhin soll das Servus RGS Adapt um einige Funktionalitäten erweitert werden, z. B. selbstständiges Aufstehen und Hinsetzen. Ein Folgeprojekt mit ORTHO-SYSTEMS sei schon geplant.

Weitere Informationen: www.ipa.fraunhofer.de

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