Stefan Reschke, Dr. Ramona Langner, Dr. Diana Freudendahl
Magnetwerkstoffe sind Materialien, die primär aufgrund ihrer magnetischen Eigenschaften technisch genutzt werden. Bislang sind in kommerziellen Produkten nur metallische und keramische Magnete anzutreffen, die über relativ kostenintensive Produktionsprozesse, z.B. Schmelzgießen oder Sintern, hergestellt werden müssen. Magnetismus entsteht auf atomarer Ebene, wenn sich ungepaarte Elektronen in der Elektronenhülle des Atoms befinden, also ihr Bahndrehimpuls (Elektronenspin) nicht von einem zweiten gegensätzlich drehenden Elektron in derselben Schale kompensiert wird. Auf atomarer und molekularer Ebene können zusätzlich sogenannte Radikale, die ein oder mehrere freie Elektronen besitzen, magnetisches Verhalten zeigen. Es gibt für jedes Material eine kritische Temperatur, oberhalb derer die magnetischen Eigenschaften verloren gehen.
Technisch nutzbare Elemente mit ungepaartem Elektronenspin, die auch bei Temperaturen deutlich oberhalb des Gefrierpunktes Magnetismus zeigen, finden sich unter den Übergangsmetallen (Eisen, Kobalt und Nickel) sowie bei den signifikant teureren Seltenerdmetallen (Gadolinium, Dysprosium). Dabei befinden sich die ungepaarten Elektronen der Übergangsmetalle im d-Orbital, die der Seltenerdmetalle im f-Orbital der Elektronenhülle. Mit diesen Elementen werden auch magnetische metallische Legierungen (Kobalt-Samarium, Neodym-Eisen-Bor) und Keramiken (z.B. Chromoxid, Eisenoxid) hergestellt.
Bereits in den 1960er Jahren wurden molekülbasierte Magnete auf der Basis organischer Radikale theoretisch diskutiert. Ein besonders interessanter Punkt dieser Überlegungen war, dass es möglich sein müsste, Magnetismus auch in Stoffen zu evozieren, die im Grundzustand über keine ungepaarten Elektronen verfügen. Der experimentelle Nachweis gelang jedoch erst 1985 mit der chemischen Synthese eines ionisch aufgebauten metallorganischen Materials, das alle Eigenschaften konventioneller Magnete wie magnetische Hysterese, Sättigungsmagnetisierung und Remanenz (Restmagnetisierung) zeigt. Dieses Material besteht aus einem positiv geladenen metallorganischen Komplex mit einem Eisen-III-Ion und einem negativ geladenen organischen Radikal, welches sein freies Elektron durch Elektronenübergang vom (ursprünglichen) Eisen-II-Ion erhält.
Obwohl es Magnetismus nur bei extrem tiefen Temperaturen zeigt, konnten an diesem Beispiel bereits viele der Vorteile molekülbasierter Magnete gegenüber den o.g. konventionellen Massivwerkstoffen demonstriert werden. Hierzu gehört v.a. die Löslichkeit in organischen Lösemitteln, die eine relativ einfache Produktverarbeitung einschließlich komplexer sowie filigraner Formgebung bei niedrigen Temperaturen (Raumtemperatur) ermöglicht, das Design spezieller Molekularstrukturen, und die Möglichkeit, mit kostengünstigen Metallen (z.B. Eisen) sehr gute Magnetwirkung zu erzeugen. Im Jahr 2009 wurde dann erstmals über eine metallorganische Verbindung mit Vanadium als metallischem Ion berichtet, die im technisch interessanten und leicht realisierbaren höheren Temperaturbereich von ca. -70°C bis +120°C ihre höchste Magnetisierung zeigt. Im Vergleich dazu bricht die Magnetisierbarkeit von Gadolinium bereits bei +20°C und die von Eisen oberhalb ca. +760°C zusammen.
In den letzten Jahren sind eine Vielzahl molekülbasierter Magnete synthetisiert und erforscht worden, die in der Summe alle Varianten magnetischer Ordnung abdecken: Ferromagnete, weiche Ferromagnete, Ferrimagnete, Antiferromagnete, Metamagnete und Spingläser. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass bislang für magnetische Anwendungen nicht nutzbare Elemente wie das Leichtmetall Lithium in diesem neuen Kontext sinnvoll eingesetzt werden können (experimenteller Nachweis im Jahr 2013). Die ungepaarten Elektronen finden sich in diesen molekularen Strukturen je nach Metall und Liganden im p-Orbital, im d-Orbital, oder in beiden Orbitalen.
Durch die Auswahl spezieller organischer Gruppen und Liganden in Verbindung mit passenden Metallionen können molekülbasierte Magnetwerkstoffe mit zusätzlichen nutzbaren Eigenschaften entworfen werden. Hierzu gehören z.B. Halbleitereigenschaften und von außen beeinflussbare elektrische Leitfähigkeit, Magnetwiderstandseffekt, oder piezoelektrische Eigenschaften. Darüber hinaus gibt es erste Molekülstrukturen, die das Ein- und Ausschalten des Magnetismus über Photonen (Lichtsignale) einerseits und elektrochemische Prozesse andererseits ermöglicht. Das macht diese neue Werkstoffgruppe hochinteressant für zukünftige „High-Tech“-Anwendungen, wie z.B. in sensorischen Anwendungen mit höchster Präzision, in magnetokalorischer Kühlung für Tieftemperaturtechnik, in Quantencomputern und allgemein in Spintronik-Geräten. Speziell könnten sie z.B. als magnetoresistive Spinventile eingesetzt werden, deren elektrischer Widerstand sich mit dem Anlegen eines äußeren Magnetfeldes verändern lässt (Spinventile erlauben nur das Passieren von Elektronen mit einer bestimmten Spinorientierung).
Molekülbasierte Magnetwerkstoffe lassen sich weiterhin in eine strukturelle Ordnung unterteilen: Nulldimensional (isolierte Moleküle), eindimensional (kettenförmige Moleküle), zweidimensional (flächige Moleküle) und dreidimensionale Netzwerkstrukturen. Ihnen liegen unterschiedliche organische Bausteine zugrunde. Auf diese Weise können über gezieltes Moleküldesign die Anordnungen und Abstände der magnetischen Zentren zueinander im Nanometermaßstab exakt festgelegt werden, was ein extrem genaues Einstellen der magnetischen wie zusätzlicher nützlicher Eigenschaften, s.o., ermöglicht.
Obwohl das Forschungsgebiet bereits über 30 Jahre existiert, beginnen sich erst jetzt langsam erste umsetzbare Anwendungen abzuzeichnen. Dabei könnten molekülbasierte Magnete allerdings bisher nicht realisierbare Technologien ermöglichen helfen und völlig neue Hochtechnologien erschließen.
*Fraunhofer Institut für
Naturwissenschaftlich-Technische
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