„Circular Materials Engineering“ – Werkstoffinformationen für eine nachhaltige Industrie 5.0 am Beispiel Aluminium

Metallische Strukturwerkstoffe, wie Stahl und Aluminium, sind wesentlicher Bestandteil der industriellen Wertschöpfung, tragen jedoch auch in hohem Maße zu den globalen industriellen CO2-Emissionen bei. Diese Umweltbelastung erfordert neue transformative Ansätze bei der Herstellung, Verwendung und Wiederverwertung der Metalle. Die Erfassung und Bilanzierung von CO2-Equivalenten, beispielsweise über den PCF (Product Carbon Footprint) sind dabei nur ein erster Schritt. Wichtiger sind technische Verbesserungen für die Kreislaufwirtschaft, in denen Materialien kontinuierlich wiederverwendet, aufgearbeitet und recycelt werden, so dass Abfall und Emissionen drastisch reduziert werden. So ist bekannt, dass durch den Einsatz von Sekundär-Aluminium das CO2-Equivalent um über 90 % vermindert werden kann. Die Verwendung von sogenanntem End- Of-Life (EOL) – Schrott ist insbesondere dann eine Herausforderung, wenn bei hochwertigen Aluminium-Legierungen ein Downcycling vermieden werden soll. Das Thema findet breites Interesse in Industrie und Forschung: Beispiel ist das Forschungsprojekt „Green-Al-Light“, das die gesamte Prozesskette abbildet und praktische Lösungen erarbeitet.

Bild 1: Green-Al-Light erforscht neue Wege für die zirkuläre Prozesskette

Bild 1: Green-Al-Light erforscht neue Wege für die zirkuläre Prozesskette

 

Projekt Green-Al-Light: Der geschlossene Kreislauf am Beispiel von Aluminium-Knetlegierungen

„Green-Al-Light“ (https://www.green-al-light.de/) erarbeitet ganzheitliche Lösungen für zirkuläre Aluminiumknetlegierungen zur Anwendung in anspruchsvollen Strukturkomponenten im Automobilbau. Die geschlossene Prozesskette (Bild 1) reicht von der Aluminiumproduktion bei Trimet, der Fertigung von Komponenten und Fahrzeugen bei Otto Fuchs und Audi, Recycling und intelligente Schrottsortierung mittels Laser-Induced Brackdown Spectroscopy (LIBS) bei CleanSort/CleanLaser sowie der Charakterisierung von Werkstoffeigenschaften beim WWI/FAU. Matplus übernimmt im Projekt die oben skizzierten Aspekte der Digitalisierung.
Herausforderung ist die Vermeidung von Downcycling bei der Maximierung von Automobil- sowie End of Life (EoL)- Schrotten. Hohe Anteile störender Legierungselemente erfordern neuartige Aufbereitungstechniken für Schrotte sowie gleichzeitig die Entwicklung und Verar-beitung neuer Legierungen, die höhere Gehalte an Begleitelementen erlauben. Industriell relevante Zielgrößen sind Prozesssicherheit, Kosten und Produkteigenschaften zusammen mit der Bewertung der erzielten Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit.
Die Digitalisierung von Werkstoffinformationen entlang der Prozesskette ist ein Erfolgsfaktor für die Erhöhung der Innovationsgeschwindigkeit durch wissens- oder modellbasierte Entscheidungsunterstützung sowie die ganzheitliche Bewertung der Ergebnisse. Dazu tragen die folgenden Bausteine bei.

Bild 2: Vergleich von 2700 Werkstoffvariantenaus der Werkstoffsimulation

Bild 2: Vergleich von 2700 Werkstoffvarianten
aus der Werkstoffsimulation

1. Die Werkstoffsimulation kann im Lösungsraum der anspruchsvollen Knetlegierungen den Einfluss von Legierungsvariationen ermitteln, die sich aus der Verwendung von Altschrotten ergeben, und somit die Anzahl der Versuchslegierungen und die Aufwände für deren Charakterisierung minimieren. Im Projekt Green-Al-Light wird dazu eine Kombination von JMatPro® für Berechnungen und Matplus EDA® für Versuchsplanung und Auswertung genutzt, wie Bild 2 beispielhaft zeigt. Grundlagen der Berechnungen sind CalPhaD für die Phasengleichgewichte sowie erweiterte Modelle für die Ausscheidungskinetik und Festigkeits¬berechnungen. Im Ergebnis können die Auswirkungen von Legierungsmodifikationen entlang der Prozesskette Gießen, Umformen und Wärmebehandlung sowie die Festigkeitseigenschaften des Endprodukts abgeschätzt werden. Auf dieser Basis erstellte Modell-Legierungen mit hohen Anteilen EoL-Schrott zeigten gute Verarbeitungseigenschaften und höhere Festigkeiten, als der bisher verwendete Serienwerkstoff. Allerdings erfüllt die Legierung die anspruchsvollen Anforderungen hinsichtlich Korrosionseigenschaften nicht.

2. Für die Bewertung der Nachhaltigkeit im Sinne einer gesteigerten Ressourceneffizienz werden unterschiedliche Szenarien gegenübergestellt, die beispielsweise den Einfluss der unterschiedlichen Anteile der verschiedenen Schrottsorten mit Sortieraufwänden und Ziellegierungen auf das CO2-Äquivalent berücksichtigen. Methodische Grundlage ist eine kombinierte Material- und Energieflussanalyse: Unterschiedliche Szenarien werden als physikalisch konsistente mathematische Modelle abgebildet, die auf Massen- und Energieerhaltung basieren. Bild 3 zeigt den Prototypen des graphischen Editors, der aus der graphischen Darstellung ein Gleichungssystem erzeugt. Die Verknüpfung der Massen- und Energieebenen erfolgt unter Verwendung von Daten aus der Werkstoffsimulation für Dichte, Wärmekapazität und Enthalpie. Es entsteht somit ein Framework, das Werkstoffdaten mit Energie- und Substanzflussanalysen verknüpft und flexibel auf erweiterte Fragestellungen der Kreislaufwirtschaft angepasst werden kann.

Bild 3: Graphischer Editor für Stoff- und Energiestromanalysen

Bild 3: Graphischer Editor für Stoff- und Energiestromanalysen

3. Der Übertragung der Ergebnisse in die praktische Anwendung bei Unternehmen wird durch Integration des Wissens in eine firmenspezifische Nachhaltigkeitsplattform erreicht. Das um die Aspekte des „Circular Materials Engineering“ erweiterte Stammdatensystem für Werkstoffe unterstützt bei Entscheidungsprozessen in Entwicklung, Konstruktion, Einkauf und Fertigung. Über offene REST-Schnittstellen erfolgt eine Integration in CAD, FEM und PLM. So können Konstrukteure in ihrem CAD-System über ein derartiges Interface direkt eine Werkstoffzuordnung vornehmen, wie Bild 4 am Beispiel Siemens NX zeigt. Die Nachhaltigkeitsinformationen werden dadurch Bestandteil der gelebten Unternehmensprozesse. Das Gesamtbild der verknüpften Werkstoffdaten mit Normen, Prüfdaten, Zeugnissen, Materialkarten sowie Substanz- und Nachhaltigkeitsinformation zeigt Bild 5.

Bild 4: Werkstoffzuweisung in CAD (Siemens NX) mit Zugriff auf die Nachhaltigkeitsplattform

Bild 4: Werkstoffzuweisung in CAD (Siemens NX) mit Zugriff auf die Nachhaltigkeitsplattform

Bild 5: Elemente einer werkstoffbezogenen Nachhaltigkeitsumgebung

Bild 5: Elemente einer werkstoffbezogenen Nachhaltigkeitsumgebung

Zusammenfassung und Ausblick

Das Verbundprojekt „Green-Al-Light“ umfasst beispielhaft den gesamten Werkstoffkreislauf für ausgewählte Aluminium-Knetlegierungen und erarbeitet praktische Ergebnisse für ein „Circular Materials Engineering“ ohne Downcycling. Die Simulation von Werkstoffeigenschaften sowie die konsistente Stoff- und Energiestromanalyse sind wichtiger Bestandteil und erweitern damit perspektivisch bisherige Stammdatensysteme für Werkstoffe. Die Digitalisierung von Werkstoffinformationen leistet somit einen Beitrag zu INDUSTRIE 5.0, die als Weg zu einer nachhaltigen und resilienten Industrie mit geschlossenen Kreisläufen und Einsatz erneuerbarer Energien beschrieben wird.

Autor:

Uwe Diekmann, Matplus GmbH
uwe.diekmann@matplus.eu
www.matplus.eu

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