Stefan Reschke, Dr. Diana Freudendahl, Dr. Ramona Langner
Nanokomposite auf Polymerbasis sind seit ca. 25 Jahren Bestandteil der Werkstoffforschung. Von Anfang an wurde besonderes Augenmerk auf den Bottom-Up-Ansatz gelegt, der es im Prinzip erlaubt, Molekül für Molekül den für die jeweilige Anwendung idealen Werkstoff aufzubauen, Nanopartikel auf molekularer Ebene einzubinden, und so das volle Potential der Nanostrukturierung zu entfalten. Theoretische Überlegungen hatten sehr früh gezeigt, dass Komposite von Thermoplasten mit nanoskaligen Partikeln aus Tonmineralen in wichtigen Eigenschaften wie thermische Beständigkeit, mechanische Belastbarkeit (z.B. E-Modul, Streckgrenze) oder Diffusionswiderstand gegenüber Gasen um 50% bis 100% bessere Werte zeigen können als der polymere Basiswerkstoff alleine. Bereits Anfang der 1990er Jahre berichtete Toyota über die industrielle Verwendung eines solchen Tonmineral-Nanokomposites auf der Basis von Nylon.
Andere nanopartikuläre Füllstoffe wie z.B. Metalle können weitere Eigenschaften verbessern oder neu hinzufügen, v.a. elektrische Leitfähigkeit, elektromagnetische Abschirmung, Wärmeleitfähigkeit, und magnetische, katalytische sowie antibakterielle Wirkung. Keramische Nanopartikel hingegen werden überwiegend zur Verbesserung mechanischer sowie tribologischer Eigenschaften und UV-Beständigkeit eingebracht. Darüber hinaus kann der Einbau spezieller keramischer Werkstoffe wie z.B. Titanate künftig zu neuen Anwendungen in Bereichen wie Medizintechnik, Sensorik und Optoelektronik führen. Analoges gilt für nanopartikelverstärkte Duroplaste, z.B. auf Basis von Epoxiden.
Grundsätzlich sind im Vergleich zu klassischen Füllstoffen in Mikrometergröße neben signifikanten Eigenschaftsverbesserungen einschließlich multifunktioneller Aspekte insbesondere massive Einsparungen an Füllstoffmenge zu erwarten. Dadurch bleiben wichtige und erwünschte Eigenschaften des polymeren Matrixwerkstoffes weitgehend erhalten, wie z.B. spezifisches Gewicht, Dauerelastizität oder Transparenz, aber auch seine Verarbeitbarkeit. Das macht Nanokomposite sowohl für Massenmärkte wie den Automobilbau oder die Verpackungsindustrie als auch für Hochtechnologiebranchen wie IuK oder Luft- und Raumfahrttechnik interessant – und genau dort finden sie bereits erste Einsatzfelder.
Parallel zum bislang überwiegend akademisch betriebenen Bottom-Up-Ansatz wird in großem Umfang der pragmatische Top-Down-Ansatz erforscht und zunehmend auch zur Produktion von (Nano-)Kompositen genutzt. Er setzt auf etablierten Verfahren auf, die in der Massenproduktion von klassischen (Mikrometerpartikel-)gefüllten Polymerwerkstoffen bewährt sind. Hier wird versucht, durch Optimierung der maschinellen, thermischen und chemischen Prozessparameter eine verbesserte Durchmischung von Polymeren und Nanopartikeln zu erreichen und typische Probleme wie die Agglomeration von Nanopartikeln oder gar Phasentrennung zu unterbinden.
Die wichtigsten nanopartikulären Füllstoffe sind derzeit Schichtsilikate (Tonerden), metallische und keramische Nanopartikel, Kohlenstoffnanoröhren (CNT), Graphen, sowie als umweltverträglicher biologisch abbaubarer Werkstoff Nanozellulose. Insbesondere Nanopartikel auf der Basis von Kohlenstoff (i.e. CNT, Graphen und Nanozellulose) müssen i.d.R. funktionalisiert werden, damit eine konstruktive Wechselwirkung an der Grenzfläche Polymermatrix-Nanopartikel stattfinden kann. Hierzu gibt es sowohl kovalente wie nicht-kovalente Funktionalisierungen. Erstere werden durch den chemischen Einbau funktioneller Gruppen wie z.B. –COOH, Amine, -Cl oder -H erreicht, die dann mit der Polymermatrix reagieren. Letztere wirken z.B. durch Anbindung von oberflächenaktiven Substanzen über van-der-Waals-Wechselwirkung. Aufgrund dieser sehr aufwändigen Vorbehandlung befinden sich die meisten der Kohlenstoffnanopartikel-basierten Komposite nach wie vor im Laborstadium und werden trotz ihres enorm hohen Potentials hier nicht weiter betrachtet.
Die aufgrund ihrer vielversprechenden intrinsischen Eigenschaften am intensivsten untersuchte Füllstoffgruppe sind Schichtsilikate. Zu ihren Eigenschaften gehören v.a. ein großes Aspektverhältnis (Längen- bzw. Flächen-/Volumen-Verhältnis bis ca. 1000), Interkalierbarkeit (Möglichkeit einer Zwischenschichteinlagerung von Atomen und Molekülen) und Exfolierbarkeit (Schichttrennung, eine Einzelschicht ist beim Mineral Montmorillonit ca. 1 nm dick). Sie bestehen, je nach Tonmineral, aus chemisch unterschiedlich zusammengesetzten silikatischen Schichten, die jeweils durch eine Zwischenschicht aus metallischen Kationen über schwache van-der-Waals-Wechselwirkung verbunden, also relativ leicht zu trennen sind.
Typische Kationen dieser Zwischenschicht sind einfach positiv geladene Natrium- oder Kalium-Ionen. Sie liegen dort meist in hydratisierter Form vor, was Schichtsilikate hydrophil und damit inkompatibel zu den meisten Polymeren macht. Daher müssen Tonminerale vor der Einbringung in Polymermassen organisch modifiziert werden. Das geschieht in der Regel über den Austausch der Kationen gegen organokompatible oberflächenaktive Substanzen (Surfactants), die die Oberflächenenergie der Silikatschichten erniedrigen und deren Benetzbarkeit deutlich erhöhen. Darüber hinaus sind sie größer als die metallischen Kationen und drücken so die Silikatschichten auseinander. Je nach Moleküllänge und Anordnung dieser Substanzen in der Zwischenschicht werden Schichtabstände von 1 nm bis zu mehreren 10 nm erreicht, was Polymermolekülen das Eindringen in die Zwischenschicht erleichtert, wodurch wiederum die Polymer-Nanopartikel-Interaktion deutlich verbessert wird. Im Idealfall verursachen die Polymermoleküle eine komplette Schichttrennung mit nachfolgender Partikelummantelung auf molekularer Ebene. Gleichzeitig sinkt bzw. verschwindet die Gefahr einer Partikelagglomeration.
Die Eigenschaften metallischer Nanopartikel sind im niedrigen nanoskaligen Bereich extrem von der Partikelgröße abhängig. So können sich z.B. ihre elektrischen Eigenschaften mit abnehmender Größe vom Leiter über halbleitende Zustände hin zum Isolator verändern. Gleichzeitig wird, ebenso wie bei keramischen Nanopartikeln, ihre Oberflächenenergie und damit ihre Reaktivität mit abnehmender Größe höher. Einerseits ist dies im Sinne guter Nanopartikel-Polymermatrix-Wechselwirkung meist erwünscht und erlaubt ihre Oberflächenmodifikation mit polymerkompatiblen Molekülen, andererseits neigen speziell metallische Nanopartikel dadurch zu massiver Agglomeration und zur Kontamination durch unerwünschte Begleitsubstanzen im Fertigungsprozess, z.B. Luftsauerstoff. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Prozessführung. Inzwischen sind viele Metalle auf einzelne Eigenschaften in Polymernanokompositen untersucht worden. Das Hauptaugenmerk in der Fachliteratur liegt jedoch auf Eisen, Kupfer, Silber, Gold und Platin. Ähnliches gilt für keramische Nanopartikel, wo aufgrund der hohen Verfügbarkeit und Umsetzbarkeit in Massenprodukte hauptsächlich Titandioxid, Siliziumdioxid und Zinkoxid verwendet werden.
Zusammen mit den spannenden Entwicklungen im Bereich der kontrollierten nanoskaligen Synthese sowie Nanostrukturierung von Polymerwerkstoffen selbst, die bereits in einer Reihe von Polymersystemen zu erheblichen Eigenschaftsverbesserungen geführt haben, erweitert die intelligente Kompositbildung mit Nanopartikeln den Anwendungsraum polymerer Werkstoffe in bislang noch nicht abschätzbarem Umfang.
*Fraunhofer Institut für
Naturwissenschaftlich-Technische
Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
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