Hersteller von Keramikfolien sind bislang auf ihre Erfahrung angewiesen, wenn sie die Eigenschaften der Folien einstellen. Nun hilft erstmalig eine Kombination von makro- und mikroskopischer Simulation: Diese sagt vorher, wie der Ausgangsstoff durch die Maschine fließt und berechnet die Ausrichtung der Keramikteilchen.
Tassen, Zahnimplantate, Waschbecken – all diese Dinge bestehen bekanntermaßen aus Keramik. Weniger bekannt ist dagegen, dass das Material auch in Abgas- und Temperatursensoren im Auto verbaut ist, und zwar in Form von Folien. Hier dienen sie beispielsweise als Trägermaterial für elektrische Leiterbahnen, das extrem hohe Temperaturen aushält. Auch in Filteranlagen kommen pörose Keramikfolien zum Einsatz: So seihen sie etwa in der Lebensmittelindustrie Wasser, Milch, Bier oder Wein. Grundlegend dabei ist es, die Eigenschaften der Folien bei ihrer Produktion genau einzustellen. Bislang können sich die Hersteller jedoch nur über ihre Erfahrung an die gewünschten Eigenschaften herantasten, denn die teuren Produktionsanlagen laufen Tag und Nacht. Für groß angelegte Versuchsreihen bleibt keine Zeit. Und die Ergebnisse, die kleine Laboranlagen liefern, lassen sich nicht ohne weiteres auf die großen übertragen. Das Einstellen der Keramikfolien-Eigenschaften ist daher ein »Spiel mit vielen Unbekannten«.
Forscher am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg ermöglichen es nun mit einer neuen Kombination von Simulationsmethoden, die Anzahl der Unbekannten im Spiel deutlich zu verringern. Sie können im Computer simulieren, was bei Gießprozessen für Keramikfolien passiert – und zwar sowohl auf makroskopischer als auch auf mikroskopischer Ebene. Makroskopisch berechnen die Forscher, wie sich die flüssige Keramik, der Keramikschlicker, durch die Maschine bewegt. Mikroskopisch analysieren sie, wie sich die mikrometerfeinen Keramikteilchen im Schlicker und
später in der Folie ausrichten. Das ist europaweit einzigartig. »Mit unserer Software SimPARTIX® können wir den Foliengießprozess auf verschiedenen Größenskalen betrachten und genau untersuchen, wie sich die einzelnen Parameter auf die Eigenschaften der Folie auswirken«, sagt Pit Polfer, Wissenschaftler am IWM. Für die Hersteller heißt das: Sie können die Prozessführung optimieren, den Ausschuss verringern und die Qualität des Produkts verbessern.
Doch zunächst zum Prinzip der Herstellung: Ein Keramikpulver mit unterschiedlichen Partikelgrößen und -formen wird mit Lösungsmitteln und Additiven vermischt, es entsteht ein fließfähiger Gießschlicker. Dieser wird in Gießkästen gefüllt. Der nach unten geöffnete Kasten lässt den Schlicker auf ein Förderband fließen, das sich darunter fortbewegt. Eine Rakel – eine Art am Gießspalt montierter Abstreicher – sorgt dabei für die gewünschte Dicke des abtransportierten Keramikschlickers. Es entsteht eine glatte Schicht, die anschließend getrocknet wird.
Makroskopische und mikroskopische Simulation
Die Forscher simulieren makroskopisch, wie der Keramikschlicker durch die Anlage strömt. Denn welche Eigenschaften die Folie später besitzt, hängt auch von der Geometrie der Anlage ab. Bleibt der Schlicker etwa lange in »toten Winkeln« des Gießkastens hängen, altert er dort. Landet er dann schließlich doch in der Folie, führt dies zu Qualitätseinbußen – und damit zu unerwünschtem Ausschuss. Die Simulation verrät den Herstellern, wie die Gießkastengeometrie die Strömung des Schlickers beeinflusst. Wo bleibt die flüssige Keramik hängen? Wie ändert sich das Strömungsbild, wenn
man die Geometrie der Rakel verändert? So können Keramikhersteller vielversprechende Gießkastengeometrien zunächst virtuell testen und teure reelle Versuchs-Rakel einsparen.
Gekoppelt mit dieser makroskopischen Simulation berechnen die Forscher den Schlicker auch auf der mikroskopischen Ebene – und genau darin liegt die Besonderheit des Systems. So untersuchen sie, wie die einzelnen Keramik-Teilchen sich gegenseitig beeinflussen und wie sie im Raum ausgerichtet sind. Da es jedoch zu aufwändig wäre, den gesamten Schlicker auf diese Weise zu berechnen, wählen die Forscher verschiedene »Flüssigkeitstropfen« aus dem Material aus. Wie durchlaufen diese Tropfen die Anlage? Wie richten sich die Keramikpartikel in ihnen aus? »Aus diesen Berechnungen können wir dann auf das Verhalten des gesamten Keramikschlickers rückschließen«, sagt Polfer. So ist es möglich, die Ausrichtung der Partikel oder Größengradienten in der Folie einzustellen, um etwa Spezialanwendungen gezielter herstellen zu können.
Weitere Informationen: www.fraunhofer.de