Stellen Unternehmen Bauteile per Innenhochdruck-Umformung (IHU) her, sind ihnen oft enge Grenzen gesetzt: Die Anlagen sind häufig nur für ein spezielles Werkstückspektrum und Verfahrensprinzip ausgelegt. Sollen andere Formen beziehungsweise größere oder kleinere Komponenten umgeformt werden, muss mitunter nicht nur das Werkzeug ausgetauscht, sondern die gesamte Anlage umgerüstet werden. Anders am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz. Hier steht eine europaweit einzigartig flexible IHU-Anlage. Auf ihr lassen sich Bleche und Hohlprofile aus den verschiedensten Materialien kalt wie warm in verschiedensten Größen und mit Innendrücken bis zu 7000 bar umformen.
Die Innenhochdruck-Umformung (IHU) gewinnt in der industriellen Anwendung nachweislich wieder an Bedeutung, die Stückzahlen steigen kontinuierlich – genauso wie die Anforderungen an den IHU-Sektor. »Besonderes Augenmerk liegt dabei auf neuen Werkstoffen, komplexeren Bauteilgeometrien und einem wirtschaftlichen Leichtbau«, sagt Markus Werner, Abteilungsleiter Wirkmedienumformung und Werkzeugkonzepte am Fraunhofer IWU in Chemnitz. »Mit unserer 2016 neu in Betrieb genommenen, europaweit einzigartigen IHU-Anlage können wir all das realisieren.«
Flexibles Steuerungskonzept für absolute Präzision
Zu diesem Zweck wurde die Dunkes HS3-1500 Tonnen IHU-Presse des Instituts gemeinsam mit den Firmen AP&T AB und MAXIMATOR GmbH zu einer flexiblen Umformanlage für Hohlprofile und Bleche aufgerüstet. Im Ergebnis ist eine Anlage mit völlig neuen Möglichkeiten entstanden. »Durch offene Schnittstellen in der Steuerung ist eine Kommunikation über die Anlagengrenzen hinweg sowie eine wissensbasierte Prozessführung möglich«, so Alexander Paul IHU-Spezialist am Fraunhofer IWU.
Das modulare Steuerungskonzept ermöglicht sehr hohe Genauigkeiten sowohl in Bezug auf den Weg wie auch auf die Kraft der Nachschiebezylinder. Insgesamt lassen sich bei der Presse neun Achsen gleichzeitig nutzen. Die regelbare Schließ- bzw. Zuhaltekraft der Anlage reicht von 100 bis 15 000 Kilonewton. Zwei Druckübersetzer für das Hydroforming ermöglichen im Bauteil bis zu 7000 bar Umformdruck.
Höchste Prozess-Sicherheit
Bei Raumtemperatur ermöglicht ein Hochdruck-Gassystem die Umformung bis zu Werkstücktemperaturen von 1000 °C bei maximal 120 Megapascal Umformdruck. Mit dem so genannten Hot Metal Gas Forming können Stähle und insbesondere Leichtmetalle bei erhöhten Umformtemperaturen mit Hilfe Stickstoff oder Argon ausgeformt werden. Die Ansteuerung der Hochdruck-Gasanalge ist in die Pressenregelung integriert. Dadurch ist eine präzise Prozessführung gewährleistet, beispielsweise wenn die Nachschiebewege in Abhängigkeit vom Innendruck hochgenau geregelt werden müssen. Dies ist insbesondere für die temperierte Umformung von besonderer Bedeutung. Außerdem können mit der neuen Steuerung die Temperaturen in den Werkzeugen während der Umformung überwacht werden. Das erhöht die Prozesssicherheit und hilft, Ausschuss zu vermeiden.
Dank der neuen Möglichkeiten lassen sich mit der modernisierten Presse Hohlprofile von sehr kleinem Durchmesser und mit Wanddicken von nur 0,1 Millimeter bis hin zu Hohlprofilen mit Außendurchmessern von 120 Millimetern und mehreren Millimetern Wanddicke darstellen. Im Bereich der Innenhochdruck-Blechumformung können Bauteile mit einer Platinengröße bis zu 500 mal 1000 Millimeter umgeformt werden. Neben der mobilen Hochdruck-Gasanlage können mit Hilfe einer zweiten Gasdruck-Regeleinheit niedrige Drücke (max. 10 Megapascal) präzise dosiert werden, wie es für die superplastische Umformung erforderlich ist. »Damit ist unsere IHU-Anlage für alle denkbaren Forschungszwecke perfekt geeignet«, so Alexander Paul.
Über 20 Jahre Erfahrung im Hydroforming
Das Fraunhofer IWU verfügt über eine lange Tradition in der wirkmedienbasierten Umformung von geschlossenen Profilen und Blechen. »Auf diesem Gebiet arbeiten wir nun seit über 20 Jahren als innovativer und zuverlässiger Forschungs- und Entwicklungsdienstleister für die Industrie«, verdeutlicht Abteilungsleiter Markus Werner. Seit Ende 1995 wird auf dem Gebiet der Innenhochdruck-Umformung am Fraunhofer IWU in Chemnitz anwendungsorientiert geforscht. »Das IHU-Verfahren wird dabei ganzheitlich betrachtet. Angefangen bei der Produktidee bis hin zum Prototyping«, so Werner. Dies schließt vor allem die Prozesssimulation, die Werkstofftechnik, Machbarkeitsstudien, Verfahrensentwicklungen sowie Steuerungstechnik und die Werkzeugentwicklung ein.
Workshop Innenhochdruck-Umformung im September
Die hochflexible Dunkes IHU-Presse steht unter anderem beim Workshop »Wirkmedienumformung am Fraunhofer IWU – 20 Jahre Innovation und Know-how« im Mittelpunkt. Die Veranstaltung am 21. September 2016 präsentiert anhand aktueller Forschungsergebnisse und Praxisbeispiele das IHU-Know-how des Instituts und soll zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch zwischen Industrie und Wissenschaft anregen. Themen sind unter anderem Trends von IHU-Anwendungen in der Serienproduktion und IHU-Verfahren zur Herstellung von komplexen Außenhautbauteilen aus Aluminium-Legierungen. Der Workshop am Chemnitzer Standort des Fraunhofer IWU schließt mit Live-Vorführungen im Versuchsfeld des Instituts.
Weitere Informationen: www.iwu.fraunhofer.de/