An die Qualität des Trinkwassers stellen wir hohe Anforderungen: Würden Krankheitserreger und Giftstoffe ins Leitungsnetz gelangen, könnten sie rasch viele Menschen infizieren und schädigen. Daher muss dieses Risiko gering gehalten werden. Experten haben Technologien für ein umfassendes Monitoring, Frühwarn- und Notfallmanagement-System entwickelt.
Trinkwasser ist für jeden Menschen unverzichtbar. Stadtwerke und Wasserbetriebe müssen die Versorgungsnetze vor Verunreinigungen, aber auch vor möglichen Manipulationen schützen. Täglich entnehmen sie Proben und untersuchen die Qualität des Trinkwassers. Doch die Analyse im Labor ist zeitaufwendig. Für die fortlaufende Überwachung sind Methoden und Tools erforderlich, die vorbeugen, Kontaminationen schnell erkennen und auch unerwartete toxische Substanzen erfassen. Schon wenige Tropfen können verheerende Folgen haben: Giftstoffe, die ins Trinkwasser gelangen, erreichen innerhalb weniger Stunden Millionen Verbraucher. »Um die Bevölkerung zu schützen, muss man die Gefahrenstoffe möglichst schnell entdecken und wissen, wie sie sich ausbreiten«, erklärt Dr. Thomas Bernard, Spezialist für Strömungsmodelle am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe. Im deutsch-französischen Projekt »SMaRT-OnlineWDN« (Online Security Management and Reliability Toolkit for Water Distribution Networks) haben der Wissenschaftler und sein Team gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Forschung Werkzeuge entwickelt, die Wasserversorger in die Lage versetzen, rasch zu reagieren und im Notfall Gegenmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einzuleiten. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF und der französischen L‘Agence Nationale de la Recherche ANR gefördert. Koordinator waren die Berliner Wasserbetriebe.
Online-Simulation berechnet Weg des Wassers
Ein mathematisches Modell zur Simulation der Hydraulik des Trinkwasserversorgungsnetzes und der Ausbreitung von Qualitätsparametern im Rohrleitungssystem übernimmt gleich mehrere Aufgaben: Auf Basis zahlreicher Simulationen lässt sich ermitteln, wo Sensoren optimalerweise platziert werden, um Verschmutzungen frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus hilft das Online-Simulationsmodell bei einem Alarm, die die Quelle der Verunreinigung einzugrenzen. Hierfür entwickelten die Forscher einen Algorithmus, der die Quelle der Kontamination lokalisiert und ermittelt, wohin sich die Verunreinigung in den nächsten Stunden ausbreiten wird. Doch den Weg des Wassers und somit den Weg der toxischen Stoffe zu berechnen und vorherzusagen, war auch für den Fraunhofer-Experten Bernard eine diffizile Aufgabe: In einem Trinkwassernetz ist die Strömung nicht überall gleich: »Sie ändert sich abhängig vom Druck in den Leitungen, dem Durchmesser und der Geometrie der Rohre sowie der Zahl der Verbraucher. Dort, wo sich das Leitungssystem verzweigt, bilden sich häufig Turbulenzen und chaotische Strömungen.«
Tests im Technologiezentrum Wasser TZW in Dresden, wo ein komplexes Leitungsnetz aus Plexiglas aufgebaut ist, halfen Bernard und seinen französischen Partnern, ein lernfähiges Detektionsmodul zu etablieren. Im Dresdner Zentrum registrieren Sensoren die Bewegung des Wassers. Mit Hilfe der Messwerte konnte der Physiker seine Computersimulationen optimieren. Das Ziel: die Bewegung des Wassers im Leitungssystem ganzer Städte zu berechnen – in Echtzeit. »Nur wenn solche Simulationen präzise und schnell genug sind, helfen sie den Versorgungsunternehmen, im Notfall die richtigen Entscheidungen zu treffen«, so der Leiter der Gruppe.
Alarm nur im Notfall
Eine lernfähige Software berücksichtigt aktuelle Messwerte wie die Trübung, die Temperatur, den Druck, den Chlor- und Sauerstoffgehalt, den pH-Wert und die bakterielle Belastung des Wassers. Werden kritische Werte erreicht, schlägt das System nicht sofort Alarm, sondern sucht zuerst nach möglichen Ursachen: Wurde gerade eine andere Wasserquelle angezapft? Eine Pumpe geöffnet oder heruntergefahren? »Mehr als 90 Prozent aller Anomalien gehen auf veränderte Betriebszustände zurück und sind kein Grund zur Beunruhigung«, erläutert Bernard.
Das neue System ist in Straßburg bereits im Einsatz und überwacht in Echtzeit die Wasserqualität im Netz. Die Datenbasis liefern hydraulische und Wasserqualitätssensoren im Leitungsnetz, die erfassten Daten werden an ein Leitsystem gesendet. Im Notfall lassen sich Gegenmaßnahmen ableiten, wie das Ausspülen von kontaminiertem Wasser oder das Absperren von Teilen des Versorgungsnetzes.
Kontrolle durch Monitoring-Plattform
Künftige Modelle sollen noch mehr können: Im deutsch-französichen Projekt »ResiWater« (siehe Kasten) arbeiten die Forscher vom IOSB an einer besseren IT-Sicherheit von Trinkwassersystemen und an einem verbesserten Alarmgenerierungs-Modul. Künftig soll es neben den Straßburger auch die Pariser Trinkwasserleitungen kontrollieren. Den Fokus legen die Projektpartner darüber hinaus auf eine Monitoring-Plattform, die die unzähligen Sensordaten übersichtlich darstellt, visualisiert, speichert und automatisierte Reports generiert, sodass beispielsweise Schwankungen der Wasserqualität regelmäßig zusammengefasst werden.
Auch die Weiterentwicklung von Sensoren treiben die Partner im Projekt ResiWater voran. Hier bringt etwa das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB sein Know-how ein: Die Stuttgarter Forscher arbeiten seit vielen Jahren an einem Biosensor AquaBioTox aus lebenden Zellen, die fluoreszieren. Bei Kontakt mit toxischen Stoffen verringern die Bakterien die Intensität der Fluoreszenz. Im Projekt ResiWater soll der AquaBioTox-Prototyp vollautomatisiert werden.
Weitere Informationen: www.fraunhofer.de