Ionische Flüssigkeiten als Werkstoffbasis

Stefan Reschke, Dr. Diana Freudendahl, Dr. Ramona Langner

Unter ionischen Flüssigkeiten (engl. Ionic Liquids, ILs) versteht man Salze in flüssigem Zustand, sie sind also hauptsächlich aus positiv und negativ geladenen Ionen sowie kurzlebigen Ionenpaaren aufgebaut. Konventionelle Flüssigkeiten bestehen dagegen überwiegend aus elektrisch neutralen Molekülen, wie z.B. Wasser. Die überwiegende Zahl an ILs, die bei niedrigen Temperaturen (unter 100°C, Kochsalz zum Vergleich schmilzt bei ca. 800°C) flüssig ist, besteht aus organischen Salzen. Diese sind seit über 100 Jahren bekannt, werden aber erst seit ca. 25 Jahren intensiver untersucht, als gezeigt werden konnte, dass viele von ihnen an Luft und Wasser stabil bleiben.

Zu ihren im Vergleich zu konventionellen Flüssigkeiten besonderen Eigenschaften zählen: Vernachlässigbarer Dampfdruck, hohe thermische und elektrochemische Stabilität, hohe Ionenleitfähigkeit, ein weiter Temperaturbereich des flüssigen Zustands, hohe Transparenz im sichtbaren Wellenlängenbereich, sowie ein signifikantes Lösevermögen für organische, anorganische und polymere Stoffe. Aus diesen Gründen wurden sie bereits intensiv auf ihre Eignung als umweltverträglichere und v.a. maßschneiderbare Alternative zu flüchtigen organischen Lösemitteln („VOCs“) untersucht. Zu ihren Anwendungsfeldern gehören hier viele Bereiche der sogenannten Green Chemistry. Ein weiteres wesentliches Einsatzgebiet ist Energiegewinnung und –speicherung. Hier dienen sie als sicherere Elektrolyten in Batterien, Superkondensatoren, Brennstoffzellen und Farbsolarzellen („Grätzel-Zellen“).

Die oben benannten Eigenschaften der ILs haben in den letzten 10 Jahren auch das Interesse der Werkstoffforschung als dritten großen Anwendungsbereich geweckt. Insbesondere werden sie daher als vielseitig einsetzbare Basis bzw. Bausteine für neuartige funktionelle Werkstoffe diskutiert, aber auch als Komponente in Werkstoffcompositen. Kern dieses Ansatzes ist, dass ausgewählte Moleküle bzw. funktionelle Gruppen (organische, anorganische sowie polymere Bausteine) durch Ionenaustausch oder chemische Funktionalisierung in das Gerüst der ionischen Flüssigkeiten eingebaut werden können. Dadurch lassen sich z.B. konventionelle Werkstoffe zu Ionenleitern modifizieren und aus ILs neuartige Funktionswerkstoffe maßschneidern. Wichtige einstellbare Stoffeigenschaften sind z.B. Viskosität, Dichte, Schmelzpunkt, Leitfähigkeit, oder Löslichkeit, aber auch chemische Reaktivität. Da auch diese neuen Werkstoffe weiterhin einen sehr niedrigen Dampfdruck, ein sehr großes Temperaturfenster für den flüssigen Zustand, sowie exzellente chemische, elektrochemische, thermische und mechanische Beständigkeit zeigen, eigenen sie sich für den Einsatz unter Extrembedingungen.

Aktuell zeichnen sich vier große Anwendungsfelder ab: Sensor- und Aktorwerkstoffe, energetische Werkstoffe, Stoffe mit einstellbaren optische Eigenschaften, und Hybridwerkstoffe aus ionischen Flüssigkeiten mit Nanokohlenstoffen. Letztere werden hier nicht weiter betrachtet. Das bislang umfangreichste Forschungsgebiet sind die Sensor- und Aktorwerkstoffe. Ihre Eigenschaften können durch eine Veränderung eines äußeren Reizes wie z.B. Helligkeit, Feuchtigkeit, Temperatur, Atmosphärenzusammensetzung (Gase), ein elektrisches oder magnetisches Feld spontan oder über eine gewisse Zeitspanne hinweg geändert werden, in der Regel reversibel. Auch elektrochrome ILs und solche mit schaltbarer Polarität wurden bereits synthetisiert.

Durch sichtbares sowie UV-Licht können beispielsweise Schmelzpunkt, Ionenleitfähigkeit oder das magnetische Moment verändert werden. Strategien zur Verbesserung dieser Eigenschaften umfassen den Einbau geordneter Strukturen wie Mizellen oder flüssigkristalline Bereiche. Die relativ genaue Signalisierung von Umgebungsfeuchte gelingt durch den Einbau eines hydrophilen Anions, das Wassermoleküle in die Flüssigkeit zieht, die dadurch ihren Brechungsindex ändert, was wiederum optisch gemessen werden kann. Zusätzlich verändert diese IL kontinuierlich mit der relativen Luftfeuchte auch ihre Farbe. Bei der Temperaturmessung lassen sich aktuell zwei Ansätze unterscheiden: Volumenänderung der IL mit Temperaturänderung wie im klassische Thermometer, und optische Signalisierung über Farbänderung oder Lichtemission.

Für Gasmessung scheinen ILs aufgrund ihrer Eigenschaften, v.a. der großen Löslichkeit von Gasmolekülen in ihnen sowie ihres extrem niedrigen Dampfdrucks, der eine stabile Messung über lange Zeiträume erlaubt, als besonders prädestiniert. Allerdings gibt es bislang erst ein indirektes Messverfahren (Quarzkristall-Mikrowaage), bei dem eine Masseänderung über die durch sie verursachte Änderung einer Schwingfrequenz erfasst wird. Direkte Messverfahren, bei denen die ILs selbst detektieren und anzeigen, z.B. durch Farbänderung, sind im frühen Forschungsstadium. Magnetisch responsive ILs sind neben vielfältigen weiteren Anwendungen besonders interessant für die Schwingungsdämpfung, die bei Kraftfahrzeugen und auch Maschinen essentielle Bedeutung hat. Ihr Vorteil gegenüber konventionellen Trägerfluiden ist, dass sie durch ihre Eigenschaften wie ihre große dielektrische Konstante, Ionenladungen, große Polaritäten und supramolekulare Struktur magnetische Nanopartikel wesentlich besser und länger in Suspension halten können.

Energetische ILs stehen bereits seit über 15 Jahren erfolgreich im Fokus der Erforschung neuer, besser umweltverträglicher Explosivstoffe und Treibmittel und haben in der Literatur bereits eine eigene Abkürzung (EIL) mit fortlaufender Nummerierung. Ein primäres Ziel ist, den Sprengstoff TNT zu ersetzen. Sehr jung dagegen ist der Ansatz, ökologisch verträgliche selbstzündende Treibstoffe für Raketen mithilfe von ILs zu entwickeln, wobei die EIL zur Zündung und Verbrennung mit einem Oxidationsmittel wie Wasserstoffperoxid oder Distickstofftetroxid in Kontakt gebracht wird. Designkriterien für die Anpassung der IL-Basis sind eine minimale Zündverzögerung nach dem Mischen der Komponenten und ein möglichst hoher Energiegehalt der in die IL eingebrachten Moleküle.

Die Anwendungsfelder für ILs mit einstellbaren optischen Eigenschaften sind Lumineszenz, photonische ILs und nichtlineare Optik. Das gesamte Gebiet befindet sich ein einem sehr frühen Forschungsstadium. Jedoch wurden für verschiedene entsprechend modifizierte lumineszente ILs bereits die Detektion spiegelbildlicher Moleküle (Chiralität), von Biomakromolekülen sowie Metallionen, und die biomedizinische Bildgebung als potentielle Anwendungsfelder identifiziert. Erste photonische ILs können z.B. auf das Anlegen und Variieren einer elektrischen Spannung mit einer Verschiebung der Wellenlänge ihres Reflexionsmaximums für Licht reagieren. Durch ihre gute Modifizierbarkeit wird für die Zukunft erwartet, dass diese ILs z.B. Anionen oder organische Lösungsmittel unterscheiden können. In Bezug auf nichtlineare optische Eigenschaften, die von hoher technischer Relevanz in den Bereichen optische Kommunikation und Datenverarbeitung sind, versprechen ILs v.a. kürzere Reaktionszeiten und eine niedrigere dielektrische Konstante.

Insgesamt können ILs als eine Art Brückenwerkstoff zwischen organischen und anorganischen, molekular und ionisch aufgebauten sowie flüssigen und festen Werkstoffen gesehen werden. Ihr volles Potenzial ist heute noch kaum zu überschauen.

*Fraunhofer Institut für
Naturwissenschaftlich-Technische
Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
berichtet in jeder Ausgabe exklusiv
über Werkstofftrends

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