High-Entropy Alloys

Stefan Reschke, Dr. Diana Freudendahl, Dr. Ramona Langner

Unter High-Entropy Alloys (HEAs) versteht man Legierungen, in denen alle Elemente ungefähr equimolar, also in etwa gleicher Teilchenanzahl vorliegen. HEAs werden i.d.R. aus 4 oder mehr metallischen Elementen hergestellt. Dies unterscheidet sie fundamental von klassischen Legierungen, bei denen ein Element wie z.B. Nickel (in Nickel-Basislegierungen) oder Eisen (in Stählen) den Hauptanteil, die so genannte Basis, stellt, und alle weiteren Elemente in deutlich geringerem Anteil begleitend den Werkstoff bilden. Andere Begriffe, mit denen HEAs auch belegt werden, sind „Multi-Principal-Element Alloys“ (MPEAs) und „Complex Concentrated Alloys“ (CCAs).

HEAs werden erst seit Anfang der 2000er Jahre systematische hergestellt und untersucht, und haben erst vor wenigen Jahren durch Bekanntwerden ihrer des Öfteren besonderen mechanischen, thermischen, elektrischen und magnetischen Eigenschaften die breite Masse der Forscher erreicht. Über die praktisch nutzbaren Eigenschaften hinaus regen HEAs durch die bislang bei Legierungen nicht in Erwägung gezogene equimolare Zusammensetzung neue theoretisch Konzepte und Diskussionen an, die das Spektrum des wissenschaftstheoretischen Erkenntnisdiskurses erweitern. Insbesondere kann mit klassischen thermodynamischen Simulationsansätzen die Phasenbildung der Legierungen nicht gut bzw. korrekt vorausberechnet werden. Ebenso gibt es noch erhebliche Wissenslücken in Bezug auf den Zusammenhang von Zusammensetzung der HEAs, der sich bildenden Mikrostruktur und ihren daraus resultierenden Eigenschaften, sodass noch immer sehr viele Laborversuche zur Erschließung dieses Gebietes nötig sind.

HEAs können auf unterschiedlichen Wegen hergestellt werden: Aus der Schmelze, aus dem festen Zustand oder über die Gasphase. Überwiegend wird der klassische Ansatz der Legierungsbildung über die Schmelze genutzt. Zu den wichtigen Methoden hier gehören Induktions- und Lichtbogenofenschmelzen sowie das Einkristallziehen nach Bridgman-Stockbarger. Die Herstellung von HEAs aus dem festen Zustand erfolgt über Mahlen der Ausgangsstoffe in einer Hochenergiekugelmühle. Die Pulver werden anschließend pulvermetallurgisch weiterverarbeitet oder per Spark Plasma Sintering konsolidiert. Die wichtigsten Gasphasenprozesse zur Herstellung von HEAs sind Sputtern und Molekularstrahlepitaxie. Die dabei gebildeten Legierungen können einphasige sowie mehrphasige Mischkristalle sein, bei bestimmten Zusammensetzungen sowie Herstellbedingungen entstehen jedoch auch amorphe Legierungen, so genannte Metallische Gläser. Die Struktur der gebildeten Gefüge reicht vom einkristallinen über den nanokristallinen bis in den makrokristallinen Bereich.

Je nach ihrer Elementzusammensetzung können HEAs ein deutlich geringeres spezifisches Gewicht bei erheblich besseren mechanischen Eigenschaften besitzen als konventionelle Legierungen, was sie ggf. für Anwendungen im Leichtbau interessant macht. So wurden bei Raumtemperatur für ein HEA der Elemente Aluminium, Lithium, Magnesium, Scandium und Titan im Vergleich zu verschiedenen Al-Basislegierungen vergleichbarer Dichte (ca. 2,7 g/cm3) eine ca. 3- bis 30-fache Mikrohärte, eine 4- bis 20-fach höhere Fließgrenze und eine bis zu ca. 3-fach höhere spezifische Festigkeit berichtet. Letztere ist vergleichbar mit der von Siliziumcarbid, einer Hochleistungskeramik.

Auch in anderen Temperaturbereichen zeigen sich erste HEAs mit exzellenten mechanischen Eigenschaften. In der Domäne metallischer Feuerfestwerkstoffe wurden verschiedene HEAs aus 5 bis 6 Elementen synthetisiert, die um gut 20% höhere Fließgrenzen als z.B. die in diesem Bereich eingesetzten Nickel-Chrom-Basislegierungen zeigen, und bei deutlich höheren Temperaturen, z.T. erst jenseits 1400°C, versagen. Sie bestehen in der Regel aus Refraktärmetallen wie Titan, Zirkonium, Vanadium, Niob, Chrom oder Molybdän. Im Temperaturbereich deutlich unter 0°C, bei dem viele konventionelle Legierungen zu Versprödungsversagen neigen, zeigt beispielsweise ein HEA aus Chrom, Mangan, Eisen, Kobalt und Nickel mit sinkender Temperatur sich verbessernde Messwerte bis -196°C (77 K), der Siedetemperatur flüssigen Stickstoffs.

Derzeit werden diese Eigenschaften vor allem auf die jeweilige Kristallstruktur der entsprechenden HEAs zurückgeführt. Während kubisch-raumzentrierte Kristallgitter überwiegend hohe Fließgrenzen und eher mäßige Duktilität zeigen, ist dies bei kubisch-flächenzentrierten Gitter meist umgekehrt. Häufig können sie auch hohe Festigkeit und sehr gute Duktilität in sich vereinen, was bisher eher als Widerspruch in sich gilt.

In Bezug auf elektrische, magnetische und thermische Eigenschaften wurden bislang hauptsächlich HEAs aus Übergangsmetallen untersucht, z.B. im System Aluminium, Eisen, Kobalt, Nickel, Chrom. Ihre Wärmeleitfähigkeit liegt je nach exaktem Mischverhältnis der Elemente zwischen 10 und 30 W/mK. Sie entspricht damit in etwa der hochlegierter Stähle und Nickel-Basislegierungen, ebenso wie die Temperaturabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit. Erste Untersuchungen zu magnetischen Eigenschaften gehen von HEAs aus, die grundsätzlich Kobalt, Nickel und Eisen enthalten, dazu ein bis zwei weitere Metalle wie z.B. Aluminium, Silizium oder Kupfer. Durch temperaturabhängige Phasenübergänge zeigen diese Werkstoffe sich verändernde magnetische Eigenschaften mit der Temperatur, sind bei Raumtemperatur aber immer ferromagnetisch. Der elektrische Widerstand der bislang vermessenen HEAs liegt typischerweise zwischen ca. 50 und 200 µOhm-Zentimeter. Auch hier zeigen sich signifikante Änderungen der Werte durch Hinzufügen oder Austausch einzelner Elemente sowie durch Gefügeveränderungen durch Wärmebehandlung. Bei einem HEA auf der Basis von Hafnium, Niob, Tantal, Titan und Zirkonium wurde unterhalb einer Sprungtemperatur von ca. 7,3 K Supraleitfähigkeit festgestellt.

Weitere einzelne Untersuchungen umfassen die Anwendung von HEAs als diffusionshemmende Beschichtungen, zur Wasserstoffspeicherung, als Katalysatoren für chemische Reaktionen, oder in Bezug auf thermoelektrische Eigenschaften. Da sich das Forschungsfeld überwiegend im frühen Laborstadium befindet, noch keine geeigneten Simulationsansätze zur Berechnung von Eigenschaften in Abhängigkeit von der jeweiligen Zusammensetzung sowie keine Hochdurchsatzanalytik vorhanden sind, können trotz aller vielversprechenden Einzelergebnisse signifikante bzw. kommerziell anwendungsrelevante Durchbrüche erst mittelfristig erwartet werden.

*Fraunhofer Institut für
Naturwissenschaftlich-Technische
Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
berichtet in jeder Ausgabe exklusiv
über Werkstofftrends

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