Jülicher Forscher haben gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Frankreich und China eine neue Eigenschaft in Quantenmaterialien entdeckt, die großes Potential für neuartige technische Anwendungen bietet. Für die Entdeckung synthetisierte und charakterisierte das 17-köpfige Team mit viel Arbeitsaufwand so genannte zweidimensionale Materialien, die einmal verschiedenste Funktionen in atomar dünnen Schaltkreisen übernehmen könnten, die auf der Zukunftstechnologie Magnonik basieren. Noch handelt es sich um Grundlagenforschung, die zukünftig jedoch die gezielte Entwicklung verwandter Materialien mit verschiedensten nutzbaren Eigenschaften vereinfachen soll. Im Erfolgsfall könnten Magnonik-Bausteine in die Halbleiter-Technologie integriert werden und geringeren Energieverbrauch und neue Funktionen ermöglichen.
Elektronische Geräte so dünn wie ein Blatt Papier, biegsam, durchsichtig, mit geringem Energieverbrauch aber schneller Rechenleistung und enormem Speichervermögen – was einst Science-Fiction war, rückt inzwischen in greifbare Nähe. Mit so genannten „zweidimensionalen van-der-Waals-Materialien“ können mittlerweile viele der elektronischen Eigenschaften realisiert werden, die wir in heutiger Elektronik nutzen, wo etwa Halbleiter, elektrische Isolatoren, Halbmetalle, Metall und Magnete im Einsatz sind. Dabei sind diese kristallinen Materialien nur eine oder einige wenige Atomlagen dick, quasi zweidimensional.
Die flache Form ermöglicht oftmals Eigenschaften, die die gleichen Materialien als Festkörperkristalle nicht aufweisen, denn quantenmechanische Phänomene an den Grenzflächen bewirken, dass sich die Elektronen anders verhalten. Der Namensbestandteil „van-der-Waals“ trägt der Tatsache Rechnung, dass zwar die Atome innerhalb einer 2D-Schicht fest miteinander verbunden sind, die chemische Bindung zur Unterlage aber nur über schwache, so genannte „van-der-Waals-Kräfte“ erfolgt. Dies unterscheidet zweidimensionale van-der-Wals-Materialien von anderen Dünnschichtsystemen.
Abhängig von der Materialzusammensetzung und der Gittersymmetrie der 2D-Systeme können weitere Eigenschaften entstehen, etwa optische oder magnetische sowie exotische, die in heutiger Elektronik noch nicht genutzt werden. Die von den Jülicher Forschern untersuchte Materialfamilie besitzt zum einen ferromagnetische Eigenschaften, wie ein klassischer Stabmagnet. Ferromagnetische Eigenschaften werden heute zum Beispiel für das Speichern von Daten genutzt.
Zum anderen wiesen die Forscher nun jedoch eine vollkommen neue Eigenschaft nach: Die untersuchten Materialien sind topologische Isolatoren für Magnonen. Topologische Isolatoren für elektrischen Strom sind bereits als Festkörper bekannt. Diese sind eigentlich elektrische Isolatoren, leiten aber an ihren Kanten Strom fast widerstandslos. Magnonen sind kollektive Anregungen in magnetischen Systemen, deren Energieübertragung quantisiert ist. Man kann sie sich wie Wellen vorstellen, die das Material durchlaufen, ganz so wie sich Wellen auf einer Wasseroberfläche ausbreiten, wenn ein Stein hineinfällt. Die magnetischen Momente im Material bleiben dabei an Ort und Stelle, nur ihre Ausrichtung ändert sich. In topologischen Isolatoren für Magnonen breiten sich die Wellen nur entlang der Kanten der Proben aus, so wie in topologischen Isolatoren für Elektronen die Elektronen nur über die Kanten des Materials fließen.
„Da bei der Übertragung von Information durch Magnonen keine elektrische Ladung transportiert werden muss, erwarten wir im Vergleich zu modernen Halbleiterchips einen etwa zehn Mal geringeren Energieverbrauch. Deshalb eignen sich Magnonik-Bauelemente besonders zur Integration in mobile IT-Anwendungen“, erläutert Prof. Yuriy Mokrousov vom Peter Grünberg Institut. Er war mit seinem Team maßgeblich in die Interpretation der beobachteten Daten involviert.
Sein Kooperationspartner Dr. Yixi Su vom Jülich Centre for Neutron Science erläutert, dass es mit ähnlichen Materialien zukünftig möglich werden könnte, alle Funktionen, die für die Magnonik-Technologie nötig sind, in einem integrierten Chip zu erzeugen, also etwa die Magnonik-Entsprechung zu Halbmetallen oder Isolatoren. Denn die Ergebnisse der Forscher zeigen den Weg zu gezieltem Feintuning der Eigenschaften der Materialklasse auf.
Die Zusammenhänge zwischen Materialzusammensetzung, Magnetstruktur und magnonischer Eigenschaften hatten sie mühsam erarbeitet. So mussten sie alleine für eine Probe über Hundert hochreine Kristalle mit einem Gesamtgewicht von nur 1,4 g herstellen und so zusammenfügen, dass ihre Kristallebenen übereinstimmten. Für Untersuchungen der magnonischen Eigenschaften mittels Neutronenstreuung nutzen sie nicht nur eigene Instrumente am Institut Laue-Langevin in Frankreich, sondern ein weiteres am gleichen Standort sowie Geräte am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum in Garching und am Helmholtz-Zentrum Berlin.
Weitere Informationen: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abi7532