Forscher entwickeln Roboterarme biegsam wie Elefantenrüssel: für große Greifer und winzige Endoskope

Sie können sich präzise um Windungen und Ecken schlängeln, bewegen sich frei in alle Richtungen: Die biegsamen Roboterarme, die Professor Stefan Seelecke und seine Forschergruppe an der Universität des Saarlandes entwickeln, haben keine steifen Gelenke, dafür aber Muskeln aus Formgedächtnis-Drähten. Diese brauchen weder Druckluft noch schweres Zubehör, sondern funktionieren nur mit elektrischem Strom. Das Material selbst hat Sensoreigenschaften, daher lassen sich die Arme ohne zusätzliche Sensoren steuern. Große Roboter-Rüssel können mit der neuen Technologie ebenso ausgestattet werden wie haarfeine Tentakel für endoskopische Operationen.

Ob Menschenarm oder Robotergreifer: Der Beweglichkeit dieser Gliedmaßen sind Grenzen gesetzt. Eher sperrige Gelenke verbinden unbiegsame Knochen oder Bauteile. Bewegungen lassen sie nur in bestimmte Richtungen zu. Dagegen haben Elefantenrüssel oder Krakenarme mehr an Gewandtheit zu bieten: Durch zehntausende Muskeln können die Tiere sie nach Bedarf in alle Richtungen schlenkern, gezielt verbiegen und damit äußerst kraftvoll zupacken. An ihrem Beispiel haben sich Ingenieure der Universität des Saarlandes orientiert: Sie entwickeln Roboterarme, die ohne Gelenke und starres Bauteil-Skelett auskommen, dafür aber ebenso verformbar wie leicht sind – und überaus wendig agieren können.

In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt arbeiten Professor Stefan Seelecke und sein Team gemeinsam mit Forschern der TU Darmstadt an dünnen, präzise steuerbaren künstlichen Tentakeln: Diese können in Zukunft in der Medizin als Führungsdraht bei Herzoperationen oder als Endoskop bei Magen- und Darmspiegelungen zum Einsatz kommen. Dafür statten die Forscher die Tentakel mit zusätzlichen Funktionen aus, etwa einer versteifbaren Spitze für Stoßbewegungen oder einem Greifer. Im großen Stil funktioniert die Technologie ebenso: Auch große Roboter-Rüssel sind möglich – die Technik ist skalierbar.

Dreh- und Angelpunkt sind die künstlichen Muskeln, die das Saarbrücker Forscherteam seinen Roboterarmen verleiht: Die Muskelstränge bestehen aus haarfeinen Drähten aus Nickel-Titan, die anspannen und entspannen können. Sie kontrahieren wie echte Muskeln, je nachdem ob Strom fließt oder nicht. „Die Legierung Nickel-Titan besitzt ein so genanntes Formgedächtnis. Wird ein Draht aus diesem Material verbogen, kann er seine ursprüngliche Form wieder annehmen. Fließt Strom durch einen solchen Draht, erwärmt er sich und seine Kristallstruktur wandelt sich so um, dass er sich verkürzt. Wird der Strom abgeschaltet, kühlt er ab und wird wieder lang“, erklärt Professor Stefan Seelecke.

Sein Team am Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme bündelt die feinen Drähte wie Muskelfasern. „Mehrere Drähte geben durch die größere Oberfläche mehr Wärme ab, dadurch erreichen wir schnelle Kontraktionen. Die Drähte haben die höchste Energiedichte aller bekannten Antriebsmechanismen. Auf kleinem Raum entwickeln sie hohe Zugkraft“, erläutert Seelecke, der mit seiner Arbeitsgruppe auch am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) forscht. Dort entwickeln sie verschiedenste Anwendungen für die Drähte: vom neuartigen Kühlsystem bis hin zu Ventilen und Pumpen.

Bei ihren Roboter-Armen verbinden die Ingenieure die Drahtstränge als Beuge- und Streck-Muskulatur, so dass ihr Zusammenspiel eine fließende Bewegung hervorbringt. „Bei der Tentakel, die in der Medizin künftig etwa als Katheter oder Endoskop Anwendung finden kann, kommen wir hierbei mit einem Durchmesser von etwa 300 bis 400 Mikrometer aus. Auf diesem Raum lassen sich sonst keine anderen Antriebstechniken unterbringen, was etwa die Möglichkeiten bisheriger Katheter-Verfahren einschränkt“, erläutert Paul Motzki, der über die Formgedächtnis-Drähte seine Doktorarbeit geschrieben hat, und als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Seeleckes Team forscht.

Im Gegensatz dazu ist die Tentakel hochpräzise steuerbar und kann als Werkzeug mehrere Funktionen erfüllen, etwa mit ihrer Spitze stoßen. Die Forscher modellieren und programmieren hierzu Bewegungsmuster zur Steuerung auf einen Halbleiterchip. Das System kommt dabei völlig ohne Sensoren aus. Die Drähte liefern selbst alle nötigen Daten. „Das Material der Drähte hat Sensoreigenschaften. Die Steuerungseinheit erkennt anhand der Messdaten des elektrischen Widerstandes zu jeder Zeit die genaue Position und Ausrichtung der Drähte“, erläutert Paul Motzki.

Anders als heute übliche Roboterarme, die auf Elektromotoren, Druckluft oder Hydraulik angewiesen sind, arbeiten die Roboterarme der Saarbrücker Forscher völlig unabhängig von schwerem Gerät im Hintergrund. Alles, was die Drähte benötigen, ist Strom. „Das macht sie leicht, anpassungsfähig, leise und in der Herstellung vergleichsweise günstig“, sagt Professor Seelecke. Auf der Hannover Messe zeigten die Forscher ihre Prototypen und demonstrierten mit Bewegungsabläufen das Potenzial dieser so genannten Kontinuums-Roboter.

Weitere Informationen: www.imsl.uni-saarland.de

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