Ein Roboter, der hochflexible Werkzeuge beherrscht

RoboCut kann auch Herzen schnitzen. (Bilder: The Computational Robotics Lab)

RoboCut kann auch Herzen schnitzen. (Bilder: The Computational Robotics Lab)

Wie berechnet man die koordinierten Bewegungen von zwei Roboterarmen, die ein hochflexibles Werkzeug präzise führen sollen? ETH-​Forschende haben dafür alle Aspekte der Optimierungsrechnungen in einen Algorithmus integriert. Mit dem Heissdrahtschneider werden unter anderem Bausteine für ein mörtelfreies Bauwerk entwickelt.

Ein Neugeborenes bewegt seine Arme und Hände noch weitgehend ungerichtet und zufällig. Es muss deren Koordination Schritt für Schritt erlernen. Bis zu den fein abgestimmten Bewegungen einer Geigerin oder eines Kaligrafen ist jahrelange Übung nötig. Da erstaunt es nicht, dass Vorausberechnungen der optimalen Bewegungen von zwei Roboterarmen, die ein Werkzeug präzise führen sollen, äusserst anspruchsvolle Optimierungsaufgaben darstellen. Die Komplexität erhöht sich zusätzlich massiv, wenn das Werkzeug selbst nicht fest, sondern in alle Richtungen flexibel ist und sich je nach Position und Bewegung unterschiedlich verbiegt.

Simon Dünser aus der Forschungsgruppe von Stelian Coros vom Institut für intelligente interaktive Systeme hat gemeinsam mit anderen Forschenden einen Heissdraht-​Schneideroboter entwickelt, dessen Draht sich während der Arbeit flexibel biegen lässt. Er kann dadurch viel komplexere Formen in wesentlich weniger Schnitten erschaffen, als dies bisherige Systeme fertigbringen. Deren elektrisch erhitzbarer Draht ist steif und kann darum nur sogenannte Regelflächen, die in jedem Punkt eine Gerade enthalten, aus schmelzbaren Kunststoffen herausschneiden.

Hasen schnitzen und Fassaden gestalten

Der RoboCut der ETH-​Informatiker ist demgegenüber nicht auf Ebenen, Zylinder, Kegel oder Sattelflächen beschränkt, sondern beispielsweise auch in der Lage, Vertiefungen in einem Kunststoffblock zu erzeugen. Der grösste Vorteil ist jedoch, dass durch das gezielte Biegen des Drahts viel weniger Schnitte notwendig sind, als wenn die Zielform nur mit Regelflächen angenähert werden kann. So lässt sich etwa die Figur eines sitzenden Hasen mit dem biegbaren Draht in nur zehn Schnitten in holzschnitzartiger Genauigkeit aus einem Styroporblock herausformen. Bereits nach zwei Schnitten sind die Umrisse des Hasen deutlich erkennbar.

Neben der grundsätzlichen Verbesserung der traditionellen Heissdrahtmethode verfolgt das RobotCut-​Projekt aber auch andere konkrete Anwendungsziele. Die Technik soll künftig beispielsweise in der Architektur zum Einsatz kommen, um aus Styropor individuelle Gussformen für Betonteile zu fertigen. So könnten etwa Fassaden abwechslungsreicher gestaltet werden oder neuartige Bausteinsysteme entwickelt werden.

Drei Optimierungen gleichzeitig

Für Dünser standen im Projekt die wissenschaftlichen Herausforderungen im Mittelpunkt. «Das Besondere an Robocut sind die komplexen Optimierungsrechnungen. Diese sind notwendig, um möglichst effiziente Werkzeugwege zu finden und gleichzeitig so exakt wie möglich die gewünschte Form aus dem Styroporblock herauszuschmelzen», wie der Wissenschaftler erklärt.

Um den Draht kontrolliert bewegen zu können, wurde er an einen zweiarmigen Yumi-​Roboter von ABB befestigt. Zunächst musste berechnet werden, wie der Draht auf die Bewegungen der Roboterarme reagiert. Positionen, die zu instabilen Drahtstellungen führen oder bei denen das Risiko eines Drahtbruchs besteht, wurden mittels Simulationen ermittelt und danach ausgeschlossen.

Auf dieser Grundlage konnten die ETH-​​Forschenden dann die eigentliche Optimierung aufbauen. Diese musste drei miteinander zusammenhängende Aspekte gleichzeitig miteinrechnen. Auf der physikalischen Ebene galt es, die kontrollierte Biegung und Bewegung des Drahts vorherzusagen, um die gewünschten Schnitte ausführen zu können. Im Bereich der Form musste eine Schnittfolge ermittelt werden, die in möglichst wenigen Schritten eine möglichst exakte Annäherung der Oberfläche an die Zielform bewirkt. Und schliesslich durfte es auch keine Kollisionen mit Teilen des Roboters und seiner Umgebung sowie keine unbeabsichtigten Schnitte geben.

Unsinnige Minima verhindern

Dünser gehört zu den ersten Wissenschaftlern, denen es gelungen ist, sämtliche Parameter dieser komplexen Aufgabenstellung in einen globalen Optimierungs-​​Algorithmus zu integrieren. Er hat dafür eine strukturierte Methodik entworfen. Diese geht von der übergeordneten Zielvorgabe aus, dass der Draht immer möglichst nahe an der Oberfläche des Zielobjekts schneiden soll. Allen anderen Einschränkungen wurden dann Kosten zugeordnet und diese als Summe optimiert.

Ohne weitere Kunstgriffe fallen derartige Berechnungen allerdings immer wieder in lokale Minima hinein, die zu einem unsinnigen Endresultat führen. Um das zu verhindern, hat Dünser die Kostenfunktion in einem ersten Schritt quasi glattgebügelt und er startete die Berechnung mit einem Schnitt, der erst sehr grob an die Zielform angepasst war. Danach wurde die Schnittsimulation schrittweise in Richtung Zielform angenähert, bis die gewünschte Genauigkeit erreicht war.

Methodik mit vielfältigem Potenzial

Die von Dünser entwickelte Methodik ist nicht nur auf das Heiss-​​Draht-​Schneiden beschränkt. Auch die Planung der Werkzeugwege von anderen Schneide-​​ und Frästechniken könnte künftig davon profitieren. Insbesondere wenn komplexe, nicht rotationssymmetrische Formen erzeugt werden müssen, eröffnet die Methode einen weitaus grösseren Spielraum für die Simulationen.

Ganz direkt profitieren könnte das Funkenerodieren mit Drähten. Mit dieser Technik lassen sich elektrisch leitende Materialien per Funkenabtragung mit hoher Präzision schneiden. Hier könnten in Zukunft biegbare Elektrodendrähte zum Einsatz kommen. Damit liessen sich – analog zum Heissdraht-​​Schneiden von Kunststoffen – kompliziertere und dadurch effizientere Schnitte ausführen als mit den heutigen steifen Drähten.

Eine konkrete Anwendung des RoboCut ist gemeinsam mit einer Forschungsgruppe der EPF Lausanne geplant. Mit Hilfe einer Grossversion des Heiss-​​Draht-​Schneideroboters sollen systematische Bausteine für mörtel-​​ und befestigungstechnikfreie Gebäudestrukturen entwickelt werden. Die Elemente müssen dafür selbst stabil zusammenhalten. Später soll der Roboter auch genutzt werden, um die Styroporformen zu schneiden, mit denen die verschiedenen Bausteine in Beton gegossen werden. Der clevere Kunststoffschneider kreiert also auch eine Betonbautechnik von morgen.

Weitere Informationen: The Computational Robotics Lab, www.youtube.com/watch?v=ky2HlwB94gQ&feature=emb_logo

Autor: Daniel Meierhans

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