Pilzbasierte Werkstoffe

Dr. Margret Weißbach, Dr. Ramona Langner, Dr. Diana Freudendahl

Aufgrund ihres Potenzials, traditionelle Kunststoffe aus fossilen Rohstoffquellen zu ersetzen und somit eine umweltfreundlichere Alternative zu bieten, steigt die Nachfrage an biobasierten Werkstoffen enorm. Neben Werkstoffen pflanzlichen, tierischen oder mikrobiellen Ursprungs hat sich in den vergangenen Jahren eine weitere Rohstoffquelle etabliert: Pilze und deren Bestandteile. Sie werden zu pilzbasierten Werkstoffen verarbeitet, beispielsweise zu Pilzleder als Ersatz für tierisches und synthetisches Leder in der Textil- und Automobilindustrie. Neben einer nachhaltigeren Produktion überzeugen pilzbasierte Werkstoffe vor allem durch ihre vielseitigen und konkurrenzfähigen Eigenschaften, die sie für eine Vielzahl von Anwendungen attraktiv machen. In den vergangenen Jahren haben verschiedenste Varianten pilzbasierter Werkstoffe zahlreiche Branchen erobert und deuten auf eine vielversprechende Perspektive als Zukunftsmaterial hin.

Für die Herstellung pilzbasierter Werkstoffe werden entweder die gesamte gewachsene Struktur eines Pilzorganismus oder nur seine stofflichen Bestandteile verwendet. Ein charakteristisches Merkmal von Pilzen ist das strukturgebende Biomolekül Chitin, das molekular ähnlich zur pflanzlichen Cellulose ist und z. B. dem Panzer von Krebstieren und Insekten eine außergewöhnliche Stabilität verleiht. Die wohl bekannteste Pilzstruktur ist der meist oberirdische Fruchtkörper, der beispielsweise in Form von Champignons oder Steinpilzen als Lebensmittel bekannt ist. Der überwiegende Teil eines Pilzes liegt hingegen unterirdisch. Ähnlich wie das Wurzelsystem von Pflanzen durchzieht das sogenannte Pilzmyzel ein Substrat, z. B. den Erdboden oder Holz, in Form eines weitreichenden und verzweigten Systems aus Myzelfäden (Hyphen) und stabilisiert es auf diese Weise. Nach weiterer Verarbeitung kann das Myzel bzw. das Myzel-Substrat-Geflecht als natürlicher Verbundwerkstoff ohne zusätzlichen Klebstoff oder Bindemittel eingesetzt werden. Aus dem Myzel des Pilzes bestehende, auch als myzelbasierte oder Mycelium-Materialien bezeichnete, Werkstoffe werden durch eine gezielte Züchtung hergestellt. Die meisten Pilze sind vorteilhafterweise sehr genügsam und ihre Pilzsporen wachsen auf bzw. in einer Vielzahl organischer Reststoffe, beispielsweise der Abfall-, Land- oder Forstwirtschaft, zu einem Myzel heran. Ein meist zuvor sterilisiertes Substrat aus z. B. Holzspänen, Stroh oder Biomüll sowie gegebenenfalls ein kontrollierter Zusatz weiterer Nährstoffe dient als Nährboden für das Pilzmyzel. Bei Dunkelheit und unter festgelegten klimatischen Bedingungen, wie einem erhöhten CO2-Gehalt, werden die Pilzsporen inkubiert und das Myzelwachstum angeregt. Je kontrollierter die Wachstumsbedingungen, desto einheitlicher fällt das Wachstum des so entstehenden Naturprodukts aus. Die Gestalt des Werkstücks, z. B. eines Bausteins, wird entweder durch das Einwachsen in eine vorgegebene Form erreicht oder aber das mit Pilzsporen versehene Substrat wird in pastöser Form 3D-gedruckt. Nach wenigen Wochen wird das Myzelwachstum durch eine (Wärme-)Trocknung aktiv beendet, um die Form und die gewünschten Materialeigenschaften zu erhalten sowie ein weiteres Ausbreiten des Pilzes auf andere pflanzliche Materialien zu verhindern. Auch eine Inkubation in einem Flüssigmedium ist, je nach Pilzart, möglich. In diesem Fall bildet sich an der Flüssigkeitsoberfläche ein dünner Pilzfilm, der abgeschöpft und weiterverarbeitet werden kann. Je nach Anwendungsfall wird der myzelbasierte Werkstoff anschließend gereinigt und gegebenenfalls mit Additiven wie Gerbstoffen für eine Verstärkung des Materials versetzt. Der Werkstoff kann anschließend komprimiert, getrimmt, texturiert, gefärbt oder beschichtet werden. Durch Abstimmung der verwendeten Pilzart, der Substratrezeptur und der Kultivierungsbedingungen kann das Pilzwachstum und damit auch die qualitativen Materialeigenschaften des finalen Werkstoffs gezielt beeinflusst werden. Aus der Vielzahl an Pilzarten – schätzungsweise etwa 5 Millionen – ergeben sich nahezu unendliche Möglichkeiten an Werkstoffen, die von festen und robusten über weiche und flexible bis hin zu niedrig- und hochqualitativen Endprodukten reichen. Aufgrund ihrer Porosität besitzen myzelbasierte Werkstoffe eine geringe Dichte und somit ein geringes Gewicht sowie gute Wärme- und Schalldämmeigenschaften. Zudem sind viele von ihnen wasserresistent und feuerhemmend. Sie eignen sich daher für eine Vielzahl von Anwendungen in der Bauindustrie, einschließlich Leichtbauanwendungen, z. B. als kompostierbare Bausteine, Dämmmaterialien, Akustikpaneele, Bodenbeläge sowie Klebealternativen und Beschichtungen für Gebäude. Zudem sind sie druckstabil. Einige myzelgebundene Schäume weisen beispielsweise Druckfestigkeiten auf, die über denen synthetischer Schäume liegen, und einige myzelgebundene Platten besitzen Bruchmodulwerte, die den Normen für Spanplatten entsprechen. Zudem sind sie auch für die Verpackungsindustrie interessant, beispielsweise als Ersatz für Schaumstoff und Styropor sowie als stoßsichere Alternative für Gebrauchsgegenstände wie Fahrradhelme.

Sowohl aus dem Fruchtkörper als auch dem Myzel von Pilzen sowie aus Pilzabfällen können außerdem Pilzbestandteile wie Chitin oder, durch chemische Modifikation, Chitosan extrahiert und weiterverwendet werden. Diese eignen sich für die gesamte Wertschöpfungskette, von Lebensmitteln bis hin zu Kosmetik und (Bio-)Kunststoffen. Zusammen mit weiteren Additiven können aus Pilzresten Biokunststoffprodukte wie kompostierbare Müll- und Einkaufstüten sowie Folien für den Agrarsektor oder wasserabweisende Beschichtungen hergestellt werden. In der Produktion solcher Biokunststoffe können Pilzbestandteile beispielsweise als Co-Kohlenstoffquelle für Fermentationsprozesse eingesetzt werden. Pilzbasierte Werkstoffe gelten daher als besonders nachhaltig, da sie nicht nur aus Reststoffen gewonnen werden oder diese zersetzen, sondern nahezu grenzenlos verfügbar sind und selbst einen bioabbaubaren Rohstoff darstellen. Neben einem geringen Ressourcenbedarf senken ihr geringer Flächen- und Energiebedarf die Produktionskosten im Vergleich zu pflanzlichen und tierischen Produkten.

Während sich einige pilzbasierte Werkstoffe wie tragfähige Baustoffe noch in frühen Forschungsstadien befinden, sind viele, beispielsweise Verpackungsmaterialien und pilzbasierte Lederalternativen, bereits etabliert und auf dem Markt verfügbar. Im Wettbewerb stehen sie derzeit vor allem mit lang etablierten synthetischen Werkstoffen. Zwar sind sie zu diesen hinsichtlich ihrer Materialeigenschaften wie Funktionalität und Ästhetik mitunter konkurrenzfähig, allerdings weisen ihr meist manufakturähnlicher Fertigungsmaßstab und das vergleichsweise langsame Pilzwachstum noch Optimierungsbedarfe auf. Insbesondere der Zugang zu biogenen Rest- und Abfallstoffen als Wachstumssubstrat könnte hier durch eine verbesserte Logistik zu entscheidenden Sprüngen verhelfen. Mit dem wachsenden Bewusstsein für Umweltfragen und der Nachfrage nach nachhaltigeren Materialien sowie Prozessoptimierungen, die Kosten reduzieren, könnte der Markt für pilzbasierte Werkstoffe in den kommenden Jahren erheblich wachsen. Bereits heute deutet eine hohe Dynamik an Investitionen sowie Neugründungen von Start-ups und Unternehmen auf ein wachsendes internationales Interesse an pilzbasierten Werkstoffen hin.

Weitere Informationen:

Fraunhofer Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen berichtet in jeder Ausgabe exklusiv über Werkstofftrends.

https://www.int.fraunhofer.de/

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