Thermomanagement durch Kunststoff – Wärmeleitfähige Kunststoffe clever eingesetzt

Abbildung 1: Entwicklungsschema
„Wärmeleitfähige Kunststoffe”

Autoren: Thies Falko Pithan, Dipl.-Ing. Michael Tesch

Kunststoffe sind klassische Isolatoren, die sowohl für thermische als auch für elektrische Abschirmungen genutzt werden. Durch die vielseitigen Möglichkeiten der Additivierung eines Kunststoffs können jedoch sowohl Wärmeleitfähigkeiten wie auch elektrische Isolationseigenschaften in einem Material vereint werden. Es stellt sich die berechtigte Frage, warum durch aufwändige Material­modifizierung ein Isolationsmaterial zum Wärmeleiter umgewandelt werden sollte?

Für die Substitution von herkömmlichen Kühlkörpermaterialien durch wärmeleitfähige Kunststoffe sprechen neben den Additiverungsmöglichkeiten vielfältige Gründe: wirtschaftliche Fertigung, Leichtbau, neue Baugruppenkonzepte, hohe Gestaltungsfreiheit und/oder Funktionsintegration. Durch die Substitution von wärmeleitfähigen, oftmals metallischen Materialien können vor allem Anwendungen profitieren, die bislang mit Kühlkörpern zum Beispiel aus Aluminium hergestellt wurden. Allerdings trifft der Umgang mit wärmeleitfähigen Materialien in der Materialkonzeption, der Verarbeitungstechnik und der Bauteilauslegung auf völlig neue Materialeigenschaften, die es für bestehende Entwicklungs- und Verarbeitungsprozesse zu untersuchen gilt. Im Hinblick auf die Materialeigenschaften müssen Einflussgrößen wie: chemische Struktur des Füllstoffs, Füllgrad, Füllstofforientierung, Materialgefüge, Partikelgrößenverteilung, Füllstoffgeometrie und/oder Grenzfläche Polymer/Füllstoff berücksichtigt werden, um für die Aufgaben im Thermomanagement gerüstet zu sein. Das grundlegende Verständnis der Materialzusammenhänge und deren Wirkungsweisen ist die Basis, um Wärme effektiv aus Bauteilkomponenten abzuleiten. Dabei ist eine Wärmeleitfähigkeit von 1-2 W/mK für viele Anwendungen ausreichend, um die Wärme durch das Material in angemessener Zeit an die Bauteiloberfläche zu leiten. Eine deutlich höhere Wärmeleitfähigkeit würde hinsichtlich der Temperaturreduzierung im Bauteil nur dann Vorteile erwirken, wenn durch eine anwendungsspezifische Auslegung dafür die Grundlage geschaffen wird. Ist die Wärme erst einmal an der Bauteiloberfläche, wirken konvektive Wärmeübertragungsvorgänge durch strömende Medien, die eine weitere Temperaturreduzierung ermöglichen. In elektrisch isolierenden Kunststoffen ist aufgrund der Wärmeleitung über Phononen eine entscheidende Einflussgröße die Packungsdichte der Füllstoffe in der Kunststoffmatrix. Je hochgefüllter der Kunststoff ist, desto höher ist die Wärmeleitfähigkeit des Materials und desto effektiver kann die Wärme aus dem Material an die Oberfläche geleitet werden. Anders als bei elektrisch leitfähigen Compounds muss in der Regel ein deutlich höherer Füllgrad erzielt werden, um den genannten Wärmeleitfähigkeitsschwellwert von 1-2W/mK zu erreichen. Der Füllgrad beeinflusst aber auch im erschwerenden Maße die mechanischen Eigenschaften wie Schlagzähigkeit und Bruchdehnung, deren Erhalt für viele Anwendungen unabdingbar sind. Zusätzlich wird durch den wärmeleitfähigen Füllstoff die Verarbeitung erschwert, indem die Fließfähigkeit des Materials durch den effektiven Wärmeaustrag sowie die hohe Füllstoffmenge signifikant beeinträchtig wird. Die Vielzahl von offenen Fragestellungen zur Einsetzbarkeit wärmeleitfähiger Kunststoffe und deren Entwicklungspotentiale waren für das Kunststoff-Institut Lüdenscheid ausschlaggebend im Februar 2015 ein Verbundprojekt zu diesem Thema ins Leben zu rufen, das genau diese Einflussgrößen betrachtet. An diesem Projekt waren 21 Firmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette beteiligt, um Lösungsansätze über das Material, die Verarbeitung sowie über Simulationssysteme zu finden.

Abbildung 2: Darstellung der Fließfähigkeit unterschiedlicher wärmeleitfähiger Materialien
im Vergleich zum ungefüllten PA6.6

Ein Hauptziel des Projekts war es, eine Entwicklungssystematik zu konzipieren, um wärmeleitfähige Kunststoffe auf deren Eigenschaften zu validieren. Abbildung 1 zeigt diesen Entwicklungsprozess anhand eines Schemas. Am Anfang des Entwicklungsprozesses steht die Material­auswahl, die die Ausgangslage für die späteren Entwicklungsschritte bildet. Zudem muss beispielweise definiert werden wie die Wärmeübertragungspfade in dem späteren Bauteil realisiert werden sollen. Um eine möglichst hohe Wärmespreitzung (Hotspotreduzierung) zu erzeugen, ist ein anisotroper Füllstoff mit hoher richtungsabhängiger Wärmeleitfähigkeit von Vorteil. In der Regel muss in diesem Schritt bereits definiert werden, welche Wärmeleitfähigkeit das Material haben muss, um spätere Entwärmungsaufgaben zu realisieren. Im Spritzgießen stellt die Fließfähigkeit des Materials eine wichtige Größe dar. Durch den wärmeleitfähigen Füllstoff wird die Fließfähigkeit infolge von mehreren Effekten eingeschränkt. Zunächst nimmt mit höherem Füllstoffanteil die Fließfähigkeit des Polymers ab, da geringere Fließeigenschaften signifikant mit dem Polymer- Füllstoffanteil korrelieren. Zusätzlich führen die zumeist nicht abgerundeten, mineralischen Partikel zu einer niedrigeren Fließfähigkeit des Materials. Je gröber und unförmiger die Füllstoffstruktur, desto eher wird eine Verkeilung der Partikel in der Polymerschmelze induziert. Ein weiterer Aspekt der Fließfähigkeitseinschränkung ist die gute Wärmeleitfähigkeit der Polymerschmelze durch den wärmeleitfähigen Füllstoff. Mit zunehmender Wärmeleitfähigkeit wird auch im Spritzgusswerkzeug die Schmelzetemperatur schneller an die Werkzeugwand abgegeben. Ein frühzeitiges Einfrieren der Schmelze ist die Folge. Die Fließfähigkeit der Materialien wurde zunächst infolge einer Fließspirale bewertet, um spätere Anwendungspotentiale und für die Bauteilkonzeption wichtige Anhaltswerte zu liefern. Hierzu wurde die Fließfähigkeit mit drei verschiedenen Wandstärken 0,8mm, 1,5mm und 2,3mm beurteilt. Abbildung 2 zeigt die Fließweglänge eines ungefüllten Materials im Vergleich zu drei wärmeleitfähigen Materialien PA66 50% keramisch gefüllt, A und B PA66 60% mineralisch gefüllt. Es wird ersichtlich, dass gerade bei einigen mineralischen Füllstoffen die Fließfähigkeit auch bei größeren Wanddicken besonders eingeschränkt wird. In einem derzeit laufenden Projektvorhaben sollen Fließfähigkeitsverbesserungen näher betrachtet und Optimierungspotentiale gefunden werden. Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts betrachtete den Zielkonflikt zwischen guten Wärmeleiteigenschaften und akzeptablen Dehnungs- und Schlagzähigkeitseigenschaften. Für viele Anwendungen im Gehäusebereich, Automotive oder Elektronikbereich werden gewisse Dehnungs- und Schlagzähigkeitseigenschaften vorausgesetzt, um in der Anwendung bestehen zu können. Abbildung 3 zeigt den Zielkonflikt am Beispiel eines PA 6.6 mit mineralischem Füllstoff. Eine hohe Füllung des Materials (PA 6.6 70% Füllgrad) führt zu guten Wärmeleiteigenschaften von 1,5-2W/mK, aber zu einer starken Reduktion der Bruchdehnung wie auch der Schlagzähigkeit. Infolge eines optimalen Material-/ Füllstoffverhältnisses und der Oberflächenmodifikation des Füllstoffs selbst konnten sowohl für den Thermomanagementbereich ausreichende Wärmeleitfähigkeiten und akzeptable Schlagzähigkeiten und Bruchdehnungen für bestimmte Anwendungsbereiche in Untersuchungsreihen erzielt werden.

Abbildung 3: Zielkonflikt hohe Wärmeleitfähig­
keit bei akzeptabler Schlagzähigkeit und Bruch-
dehnung

Ein wichtiger Schritt zur Bewertung der thermischen Materialeigenschaften ist die Demonstration der Wärmeableitung an Versuchsgeometrien. Hierzu wurde ein Kühlkörperplättchen in unterschiedlichen Materialmodifikationen durch eine punktförmige Heizquelle an der Unterseite erwärmt und die Temperatur an der Oberseite mittels IR-Kamera und an der Oberfläche des Heizelements durch taktile Temperaturmessung erfasst. Es zeigte sich, dass durch die wärmeleitfähigen Materialien ab 2W/mK eine deutliche Hotspot Reduzierung durch die gute Wärmeverteilung im Kühlkörperplättchen erzielt werden konnte. Durch die effektivere Wärmeableitung des Kühlkörperplättchens konnte außerdem eine Temperaturreduzierung an der Stiftoberfläche von 7-10°C erreicht werden. In Abbildung 4 ist dieser Zusammenhang dargestellt. Ein ungefülltes Kühlkörperplättchen mit 0,3 W/mK führt zu einem deutlichen Hot-Spot im Bereich des Heizelementes. Ein Kühlkörperplättchen mit über 2 W/mK und einer guten richtungsabhängigen Wärmeleitfähigkeit verteilt die Wärme homogen im Kühlkörper und führt somit zu einer Verhinderung eines Hot-Spots im

Abbildung 4: Demonstration der Wärmeleitfähigkeit an
Kühlkörperplättchen (Hot-Spot Reduzierung)

Wärmeeinleitungspunkt. Gerade die Themen Fließeigenschaften und Mechanik von „Wärmeleitfähigen Kunststoffen bergen noch hohes Entwicklungspotential. Ein Folgeprojekt zu diesem Thema ist im Mai 2017 gestartet. Es werden hier insbesondere folgende Fragestellungen an Versuchsreihen betrachtet: Können Bauteilanforderungen mit bestehende Materialsystemen erfüllt werden? Ist es möglich durch Materialmodifikationen die Schlagzähigkeit und Fließfähigkeit derartiger Materialien gezielt zu optimieren? Wie wirken sich Materialmodifikatoren auf die Wärmeleitfähigkeit des Materials aus? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich in der spritzgießtechnischen Verarbeitung wärmeleitfähiger Kunststoffe. Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette (Rohstoffhersteller, Füll- und Additivhersteller, Simulation, Verarbeiter und Anwender) beteiligen sich an diesem Verbundprojekt. Interessierte Unternehmen können als Quereinsteiger noch an dem Projekt teilnehmen.


Kunststoff-Institut für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH
Karolinenstraße 8, 58507 Lüdenscheid
Tel.: +49 (0) 23 51.10 64-191
Fax: +49 (0) 23 51.10 64-190
www.kunststoff-institut.de

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