Welche Ängste ergeben sich bei Preisverhandlungen und wie sollte ich damit umgehen?

Zwei gleichartige produzierende Zulieferfirmen aus der mittelständischen Industrie mit einem Umsatz von jeweils rund 20 Mio.€ haben sich Anfang des Jahres vorgenommen, eine Preiserhöhung bei Ihren Kunden umzusetzen. Im Management sind jedoch völlig unterschiedliche Voraussetzungen vorhanden.

Beschreibung Firma A

Beim ersten Unternehmen handelt es sich um eine Firma, die schon lange im Familienbesitz ist. Die Geschäftsführung wird entweder mit geeigneten Personen aus den internen Reihen oder mit externen Fachspezialisten besetzt. Den Eigentümern ist es dabei wichtig, dass das Unternehmen nicht nur nach maximalen Erträgen und hohen Renditen geführt wird, sondern dass eine wertebasierte Unternehmenskultur unter den Mitarbeitern herrscht und dass mit den Kunden und Lieferanten eine partnerschaftliche und langfristige Zusammenarbeit umgesetzt wird. Das Management überlegt sich regelmäßig, welchen Herausforderungen es sich heute und in Zukunft stellen muss. Begeisterte Mitarbeiter sind die Investition für die Zukunft.

Beschreibung Firma B

Beim zweiten Unternehmen handelt es sich um einen Finanzinvestor. Dieser hat bei der Übernahme kommuniziert, dass sich das Unternehmen weiterentwickelt und dass der finanzielle Erfolg im Vordergrund steht. Der neue Eigentümer ist gerne bereit, zu investieren, dort wo es sinnvoll ist, um mittelfristig den Unternehmenswert deutlich zu steigern. Ziel ist es, die Firma nach 3-5 Jahren mit einem möglichst erfolgreichen Verlauf zu veräußern. Um dies zu erreichen, wird ein Fremdgeschäftsführer eingesetzt. Dieser hat keine Branchenkenntnisse, ist betriebswirtschaftlich hoch qualifiziert und legt wenig Wert auf ein gutes Betriebsklima. Ihm ist es viel wichtiger, klare Ansagen zu machen und mit Druck die Mitarbeiter zu führen. Dabei wird keine Rücksicht auf das soziale Umfeld genommen. Selbst Abmahnungen sind nur Mittel zum Zweck.

Vorgehensweise Preis­anpassung Firma A

Das erste Unternehmen hat bereits im Oktober letzten Jahres bei den Mitarbeitern angekündigt, dass Anfang des neuen Jahres eine allgemeine Preiserhöhung von 5% anfallen wird. Die Geschäftsführung begründet dies im Allgemeinen mit den stark angestiegenen Kosten in den unterschiedlichsten Bereichen und um eine Ergebnisverschlechterung zu vermeiden. Sie fordert die Mitarbeiter auf, sich darüber Gedanken zu machen. Mitte November 2021 wird ein Meeting angekündigt, in dem die Umsetzungsstrategie für Dezember/Januar festgelegt und das Feedback der Mitarbeiter eingeholt werden soll. Jeder Kundenbetreuer soll sich Gedanken machen, mit welcher Begründung bzw. mit welchen Argumenten dies bei den jeweiligen Kunden vorgetragen werden könnte. Bei diesem stattfindenden Meeting werden die Bedenken der Mitarbeiter besprochen. Es wird erneut begründet, dass dieser Schritt notwendig ist und nicht aufgeschoben werden kann. Die Kunden werden ab Ende November entsprechend vorab informiert, dass ein entsprechendes Schreiben Anfang/Mitte Dezember versendet wird und die neuen Preise ab dem neuen Jahr leider umgesetzt werden müssen. Es wird absichtlich dafür gesorgt, dass sowohl die Mitarbeiter als auch die Kunden von der Vorgehensweise rechtzeitig informiert werden. Außerdem wird auch diskutiert, ob die Preiserhöhung ab Lieferung oder ab Bestelleingang im Januar 2022 stattfindet. Man entscheidet sich aufgrund des Kostendrucks, dass dies möglichst bei allen Kunden ab Lieferung sein sollte und dies auch mit den entsprechend angestiegenen Kosten gut begründet werden kann. Bei bestehenden Rahmenvereinbarungen, die weit in das neue Jahr hineingehen, soll über das Gespräch beim Kunden eine gemeinsame Lösung gesucht werden. In vielen Fällen könnte die Lösung auch über Materialgleitklauseln schriftlich festgelegt werden. Dadurch wird eine möglichst gerechte Lösung für beide Seiten angestrebt. Den Verhandlungsteil-nehmern wird empfohlen, die Gespräche mit Respekt und Anerkennung zu führen, dabei aber auch deutlich zu machen, dass dieser Schritt unumgänglich ist.

Vorgehensweise Preis­anpassung Firma B

Beim zweiten Unternehmen wird eine gemeinsame Vorgehensweise nicht überlegt. Das ist nicht Stil der Geschäftsführung. Die Kunden erhalten Ende November ein Schreiben, dass aufgrund der stark angestiegenen Kosten ab Januar die neuen Preise mit einer Erhöhung von 5% gelten und dass sie dies doch berücksichtigen sollen. Der Inhalt des Schreibens wird vom neuen Geschäftsführer dokumentiert, unterschrieben und anschließend versendet. Weder der Vertrieb noch die Kundenbetreuer werden darüber informiert. Außerdem erfolgt auch kein Hinweis, ob dies ab Bestelleingang oder ab Lieferung erfolgt.

Vergleich beider Firmen

Bei diesen in der Realität tatsächlich stattgefundenen Vorgehensweisen wird deutlich, dass sich die Herangehensweise stark unterscheiden kann. Wie schätzen Sie, liebe Leser, dabei die Reaktion des Kunden und der Mitarbeiter ein und was glauben Sie, wer letztlich bei der Umsetzung erfolgreicher war?

Beim ersten Unternehmen konnten sich die Mitarbeiter rechtzeitig auf dieses Projekt einstellen. Obwohl sie anfangs auch starke Bedenken hatten, wurden diese durch rechtzeitiges Abholen und Einbeziehen in die Thematik zerstreut. Die Ängste wurden überwunden. Es erfolgte schon nach kurzer Zeit die Übereinstimmung, dass dieser Schritt absolut notwendig ist. Die Spannung erhöhte sich im positiven Sinne. Die Kundenbetreuer waren motiviert und haben mit dem Management die gemeinsame Vorgehensweise auch anhand eines Argumentationsleitfadens festgelegt. Das Projekt konnte innerhalb von drei Monaten erfolgreich abgeschlossen werden. Dabei war das Gesamtergebnis sogar im Durchschnitt über den geforderten 5% umsetzbar. Bei den wöchentlichen Besprechungen wurden alle Ereignisse besprochen und dort, wo es noch spezieller Lösungen bedurfte, ein gemeinsamer Weg gefunden und umgesetzt. Alle Beteiligten waren eingebunden und freuten sich über das gemeinsam erreichte Ergebnis.

Das zweite Unternehmen konnte die vom Geschäftsführer vorgegebenen Ziele bei weitem nicht erreichen. Die Kunden haben die Vertriebsmitarbeiter angerufen und nachgefragt, warum dieser Schritt notwendig ist, warum sie denn nicht vorher informiert wurden und wie denn die Zahl 5% zustande gekommen sei? Die Kundenbetreuer mussten sich zuerst einmal beim Kunden informieren, um was es denn ginge und mussten das Schreiben beim Kunden anfordern. Sie konnten es nicht glauben, dass die neue Geschäftsführung so vorgegangen war und dass sie nicht einmal informiert wurden.

Die Reaktion der Kunden war entsprechend. Die meisten haben abgelehnt und dem Schreiben widersprochen. Obwohl die Kundenbetreuer noch über entsprechende Nachweise versucht haben, dies zu begründen und die Kunden zur Einsicht zu bewegen, wurde meistens nur eine kleine Preisanpassung von 1-2% im Durchschnitt akzeptiert. Für die Kunden war auch klar, dass dies auf keinen Fall ab Lieferung, sondern erst ab den neuen Bestellungen akzeptiert wird. Viele Hauptkunden haben dabei zusätzlich den Besuch des neuen Geschäftsführers eingefordert. Dieser hat dann im Gespräch seine Sichtweise klar gemacht. Das Ergebnis war, dass die Kunden in vielen Fällen nur einer kleineren Anpassung zugestimmt haben, dass sie verärgert waren und dass die internen Mitarbeiter frustriert überlegt haben, ob die eigene Firma auch zukünftig ihr Arbeitgeber sein sollte. Außerdem haben die Kunden zeitversetzt den einen oder anderen Auftrag an andere Lieferanten vergeben. Der Abschluss konnte aufgrund der vielen Ungereimtheiten erst nach sechs Monaten erreicht werden.

Zusammenfassung:

Beide Unternehmungen wurden bzgl. Ergebniserreichung verglichen. Dabei konnte festgestellt werden, dass das erste Unternehmen eine Preisanpassung hochgerechnet auf das ganze Jahr 2022 von 1,1 Mio. € erreichen konnte. Trotz der Anforderungen konnte auch eine zukünftige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Kunden durch hoch motivierte und zufriedene Mitarbeiter erreicht werden.

Beim zweiten Unternehmen lag das Ergebnis nur bei der Hälfte, also bei 550.000€. Außerdem wurde von den Kunden ein Umsatz von 1,5 Mio. € an Wettbewerber verlagert. Die Kunden sind verärgert. Die Vertriebsmitarbeiter sind frustriert. Zwei von zehn haben aufgrund dieser Vorkommnisse Mitte des Jahres gekündigt. Die Geschäftsführung hat durch diese Vorgehensweise die mit den Kunden über viele Jahre gelebte Partnerschaft massiv zerstört und musste feststellen, dass der interne Umgang zur massiven Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern geführt hat. Sind Sie darüber verwundert?


Zum Autor:

Ulrich Miller ist Unternehmensberater und hat sich auf den Kernbereich Vertriebsoptimierung mit dem Schwerpunkt „Strategische Preisverhandlungen“ spezialisiert. Dort unterstützt er mittelständische Unternehmen in unterschiedlichen Branchen und Betriebsgrößen.

Außerdem ist er als Dozent tätig, beispielsweise intern bei Firmenprojekten oder extern in verschiedenen Bildungseinrichtungen. Zudem ist er auch Autor des neuen Buches „Strategische Preisverhandlungen, Konzepte und Methoden, Ein Praxisleitfaden mit Fallbeispielen“, das seit Anfang des Jahres 2022 beim ESV Verlag gekauft werden kann
unter: https://www.esv.info/978-3-503-20617-9.

 

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