In dem vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union geförderten Projekt „Werkstoffentwicklung auf Basis von Rübenschnitzeln für marktrelevante Anwendungen“ beschäftigen sich die Unternehmen Byk-Chemie GmbH, Entex Rust & Mitschke GmbH, FKuR Kunststoffe GmbH, Fraunhofer UMSICHT und Fraunhofer WKI, Harold Scholz & Co. GmbH, Jäckering Mühlen- und Nährmittelwerke GmbH, Kunststoff-Institut für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH, Landwirtschaftlicher Betrieb Koch, Nova-Institut GmbH, Pfeifer & Langen GmbH & Co. KG und SWOBODA engineering GmbH mit der Entwicklung eines neuartigen Verbundwerkstoffes, welcher in erster Linie als Compound für die weitere Kunststoffverarbeitung zur Verfügung gestellt werden soll.
Die Zuckerrübe ist mit der Bildung von über 84 Tonnen Biomasse und einem Zuckerertrag von 13,5 Tonnen pro Hektar und Jahr die effizienteste Pflanze in Deutschland. Allein in den letzten drei Ernteperioden stieg der Ertrag um ca. 8 Prozent pro Jahr (1) auf 5 Millionen Tonnen Zucker bei jetzt ca. 380.000 Hektar. Während der Rübenernte und Verarbeitung fallen allein bei den großen deutschen Zuckerherstellern Rübenschnitzel im unteren siebenstelligen Tonnenbereich an (2). Diese sogenannten Pressschnitzel werden derzeit regional (3) als Milchviehfutter oder Biogassubstrat vermarktet. Die begrenzte Vermarktbarkeit führt dazu, dass ein Teil der Pressschnitzel, getrocknet und zu Pellets gepresst, als lagerfähiges Futtermittel verkauft wird. Durch das Auslaufen der europäischen Zuckermarktverordnung zum 30. September 2017 sind nationale Quoten und Rübenmindestpreise, die über viele Jahre die zentralen Elemente der alten Marktordnung bildeten, kein politisches Instrumentarium der EU (4). Es ist daher mit einem verschärften Wettbewerb und sinkenden Preisen zu rechnen, da die Herstellkosten des in der europäischen Union produzierten Zuckers über dem Weltmarktpreis lagen.
Neue höherwertige Anwendungen des Nebenproduktes Zuckerrübenschnitzel können daher den wirtschaftlichen Druck auf die Erzeuger verringern. In das Blickfeld ist daher die Verwendung als Füll- und Faserstoff in Verbundwerkstoffen gerückt. Rübenschnitzel haben im Vergleich zu anderen Naturfasern den Vorteil, dass sie als Nebenprodukt der Zuckerherstellung nicht extra angebaut werden, sondern bereits heute bei der Produktion im Überschuss anfallen. Sie haben aber auch den Nachteil, dass sie im Vergleich zu Holz- oder Pflanzenfasern wie zum Beispiel Sisal, Baumwolle oder Flachs hohe Mengen an Hemicellulosen (ca. 22-31 w%) und Pektinen (ca. 25-30 w%) bei gleichzeitigem geringen Gehalt an Ligninen (2-7 w%) enthalten (5), was eine verstärkte Unverträglichkeit insbesondere mit apolaren polyolefinischen Matrices erwarten lässt.
Für die spätere Marktrelevanz ist die industrienahe Umsetzung von elementarer Bedeutung. Die Entwicklung von Rübenschnitzel Polypropylen-beziehungsweise Polymilchsäure basierter Verbundwerkstoffe erfolgt am Kunststoff-Institut Lüdenscheid und am Fraunhofer Umsicht mit einem Gleichdralldoppelschneckenextruder. Der Schneckendurchmesser beträgt 26 mm. Dieser bildet das perfekte Bindeglied zwischen Labor- und Industrieentwicklung. Es können kostengünstige Entwicklungs- und Machbarkeitsstudien realisiert werden. Die generierten Parameter ermöglichen anschließend ein industrielles Up-Scaling.
Wie bei allen Verbundwerkstoffen mit organischen Naturprodukten stellen auch Rübenschnitzel hohe Anforderungen an die Materialentwickler. Die Verarbeitungstemperatur, die unterschiedlichen Polaritäten und die Restfeuchte der Materialien sind einige der wichtigen Parameter, die bei der Verarbeitung beachtet werden müssen. Durch ein beziehungsweise zwei atmosphärische und eine Vakuumentgasung wird sichergestellt, dass die anhaftende Feuchtigkeit und leicht flüchtige Bestandteile aus dem Prozess entfernt werden. Die Korngröße der Zuckerrübenschnitzel spielt insofern eine wichtige Rolle, da die extrahierten zuckerführenden Parenchymzellen mit einem Durchmesser von 40-60 µm sowie die versorgenden Tracheen mit einem Durchmesser von 20-40 µm (6) durch die Mahlgrade unterschiedlich stark destrukturiert werden, wie Abbildung 1 zeigt.
Die maßgeschneiderte Rezepturentwicklung beginnt mit der Auswahl eines geeigneten Matrixmaterials. Hierzu wurden bezüglich Polypropylen unterschiedliche Typen zusammen mit einer definierten Mahlung der Rübenschnitzel verarbeitet und anschließend per Spritzguss zu Normprobekörpern verarbeitet. Die Zug- und Schlagversuche bildeten die Grundlage bei der Festlegung der PP-Type. Die gewählte Type verfügt über eine Zugfestigkeit von 25 MPa, ein E-Modul von 1400 MPa sowie eine Kerbschlagzähigkeit von 8 kJ/m2 und Schlagzähigkeit non-break. Für Polymilchsäure wurde auf die marktgängige Spritzgusstype Ingeo 3251D von NatureWorks zurückgegriffen.
1) Polypropylen
Es wurde eine Compoundierstudie mit einem Rübenschnitzelanteil von 30 w% durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Temperaturprofile, Schneckenkonfigurationen und Zugabeorte der Rübenschnitzel an unterschiedlichen Stellen des Verfahrenswegs variiert.
Die Wahl eines geeigneten Temperaturprofils ist insbesondere für Polypropylen als Matrixwerkstoff für die enthaltenen thermisch labilen wie auch chemisch reaktiven Polysaccharide von entscheidender Bedeutung. Um den Abbau sehr gering zu halten und die Maillard-Reaktion (Reaktion von Zuckern mit Aminosäuren) zu unterdrücken, sollte die Temperatur der Schmelze 200 °C nicht überschreiten. Thermogravimetrische Analysen bestätigen dieses Ergebnis.
Neben der Temperatur spielt für die Abbaureaktionen auch die Scherbeanspruchung eine wichtige Rolle. Eine Compoundierung mit einem Matrixmaterial mit einem MFR von 2 g/10 min (230 °C / 2,16 kg) konnte nicht realisiert werden und führte zu starkem Abbau der Rübenschnitzel. Durch die hohe Viskosität war die Beanspruchung der Rübenschnitzel zu hoch. Eine Erniedrigung durch Temperatursteigerung war auf Grund des beschleunigten thermischen Abbaus und der Maillard Reaktion nicht möglich. Diese Scherung beeinflusst nicht nur die chemische Veränderung und Zersetzung, sondern auch die mechanische Destrukturierung der Zellen.
Die Schneckengeometrie sowie der Zugabeort im Verfahrensweg des Extruders spiegeln sich in den mechanischen Kennwerten wider. Die Zugabe der Rübenschnitzel erfolgte direkt nach der Aufschmelzzone oder im letzten Drittel des Verfahrenswegs. Das Schneckenschwert wurde nach Rübenschnitzelzugabe entweder mit Knet- und Zahnmischelementen oder nur mit einem der beiden Elementtypen bestückt. Ebenfalls wurde die Anzahl variiert. Eine dispersive Einarbeitung durch die Knetblöcke und ein zusätzliches distributives homogenisieren der Schmelze mit den Zahnmischelementen wirken sich positiv auf die Festigkeit und die Zähigkeit des Materials aus. Die frühere Zugabe der Rübenschnitzel in den Verfahrensweg hat ebenfalls einen positiven Einfluss und bestätigt, dass eine leichte Scherung die Mechanik erhöht. Die Schlagzähigkeit konnte vom niedrigsten Wert zum untersuchten Optimum um ca. 17 % auf 17 kJ/m2 gesteigert werden.
Parallel zur Compoundierstudie wurde die Matrixanhaftung der Rübenschnitzel betrachtet. Die polaren Polysaccharide werden durch einen Haftvermittler an der Oberfläche so modifiziert, dass sie sich in der Matrix gut integrieren lassen. Es wurden verschiedene Haftvermittler auf Maleinsäureanhydrid-Basis untersucht, welche auf Polypropylen- bzw. Polylactid-Matrix zugeschnitten sind. Die Anhydridgruppe reagiert mit den Hydroxylgruppen der Polysaccharide, die Polymerkette dient für die Verträglichkeit. Im Ergebnis erzielten Haftvermittler mit einem hohen Pfropfgrad von Maleinsäureanhydrid und einer niedrigen Viskosität die beste Performance.
Durch die Zugabe eines Schlagzähmodifiers in die PP-Matrix konnte die Zähigkeit deutlich erhöht werden. Besonders eine Kombination aus dem Schlagzähmodifier und den Haftvermittlern erzielte eine Steigerung der Zugfestigkeit mit gleichzeitiger Zähigkeitserhöhung (siehe Abbildung 2). Auf Grund der Zugabe des Schlagzähmodifiers sinkt der Wert E-Modul. Jedoch liegt der Wert mit ca. 1800 MPa bei einer Zugabe von 2% auf dem Ausgangswert des reinen Polypropylens. Durch die Kombination mit einem Haftvermittleranteil von 5 w% und einem Modifieranteil von 2 w% lässt sich die Zugfestigkeit zum Ausgangsmaterial um 12,5 % steigern. Bei einer weiteren Erhöhung des Haftvermittlers sinkt das E-Modul wieder ab und die Zugfestigkeit zeigt kaum eine weitere Erhöhung.
Generell sinkt die Zähigkeit bei der Zugabe von Füllstoffen. Durch die Additiv-Kombination kann die Zähigkeit des Materials wieder erhöht werden. Die Steigerung der Schlagzähigkeit von 1 w% Haftvermittler zu den Werten der Kombination Haftvermittler 5 w%/ Modifier 2 w% beträgt 163 %. Bei der Kerbschlagzähigkeit beträgt die proztentuale Steigerung 78 %.
2) Polymilchsäure
Aufgrund der bekannten Sprödigkeit von Polymilchsäure und des mit Füllstoffen einhergehenden Zähigkeitsverlustes wurde von Beginn an auf einen modifizierten Polymilchsäure basierten Blend zurückgegriffen, der mit 25 % Kreide gefüllt war, welche sukzessiv in Teilen durch Zuckerrübenschnitzel ersetzt wurden. In einer Vorstudie zeigte sich, dass unter Zugrundelegung einer stark scherenden Schnecke und dem Einsatz eines Weichmachers für die cellulosischen Bestandteile keine besseren mechanischen Kennwerte erzeugt werden konnten. Der eingesetzte Weichmacher sorgte im Gegensatz durch Einlösen in die PLA-Matrix für verringerte Module und Zugfestigkeiten. Der Vorteil in der Schlagzähigkeit war dabei nur beim Teilaustausch der Kreide durch Zuckerrübenschnitzel sichtbar. Bei vollständigem Ersatz der Kreide durch Zuckerrübenschnitzel waren die Schlagzähigkeiten auf gleichem Niveau. Für die Compoundierstudie unter Einsatz von Haftvermittlern wurde daher eine gängige nicht stark scherende Schneckenkonfiguration für biobasierte Kunststoffe eingesetzt und das Temperaturprofil auf maximal 170 °C begrenzt. Aufgrund der Marktverfügbarkeit konnte nur ein Haftvermittler auf Polymilchsäurebasis eingesetzt werden (ByK-Chemie, Sconatype).
Der E-Modul der Compounds mit grobem Zuckerrübenschnitzelmahlgut (s. Abbildung 3) bleibt unabhängig der Menge des Haftvermittlers unter Berücksichtigung der Standardabweichung der Messwerte konstant (ca. 3 % entspricht ca.
100 MPA für eine Standardabweichung) während dies bei dem feinen Zuckerrübenschnitzelmahlgut nicht so ausgeprägt ist, die Module aber innerhalb von zwei Standardabweichungen liegen.
Füllstoffe erhöhen bei hinreichender Verträglichkeit der Komponenten den E-Modul, da keine Dehnung erfolgt und hinreichende Wechselwirkungen der Phasen den höheren Modul des Füllstoffes zum Tragen bringen. Aus den mechanischen Daten kann unter Anwendung der Summenregel (Egesamt = ∑ViEi) der Modul der groben und feinen Zuckerrübenschnitzeltype in den kompatibilisierten Compounds im Mittel zu ca. 6100 MPa abgeschätzt werden. Die Module der Polymilchsäure basierten Verbundwerkstoffe bleiben damit auf hohem Niveau und entsprechen in etwa den Werten bekannter PLA-WPC-Verbundwerkstoffe (7). Die Zugfestigkeit wiederrum lässt sich bei der feinen Zuckerrübenschnitzeltype durch Einsatz von höheren Mengen an Haftvermittlern um bis zu 20 Prozent auf nahezu 50 MPa steigern. Ohne Haftvermittler fällt sie ab und steigt mit steigendem Koppler Zusatz. Dies deutet auf eine ausgeprägte Kompatibilisierung der Phasen hin. Dies ist bei der groben Fraktion nicht so ausgeprägt. Hier bleibt die Zugfestigkeit durch höhere Zusätze an Haftvermittler im Wesentlichen erhalten und die maximale Differenz der Festigkeiten bei 25 Prozent Zuckerrübenschnitzelzusatz ist mit ca. 5 MPa nur halb so groß wie bei der feinen Type. Die Schlagzähigkeiten der Zuckerrübenschnitzel enthaltenen Compounds sind deutlich schlechter als die Schlagzähigkeit der Referenzprobe. Die Compounds mit der feinen Zuckerrübenschnitzeltype weisen aber die deutlich höheren Werte auf als die grobe Zuckerrübenschnitzeltype. Da hier die Schlagfestigkeitswerte unabhängig der Menge an Schnitzelmahlgut in Näherung konstant sind, kann dies mit der inneren Festigkeit der groben Type zusammenhängen. Dies erklärt auch den geringen Anstieg der Zugfestigkeit bei steigendem Haftvermittlergehalt. In der Summe deutet dies auf eine bessere Kompatibilisierung der feinen Sorte hin, bezüglich des E-Moduls können aber auch polare Wechselwirkungen eine Rolle spielen, die bei der feinen Type durch die größere Anzahl an Oberflächen und dem vermehrten Freilegen der Zellinhaltstoffe anwesend sind.
In dem bis 12/2019 laufenden Projekt werden weitere Studien zur Langzeitstabilität, Bewitterung, UV-Beständigkeit sowie zum biologischen Abbau durchgeführt. Die industrielle Übertragbarkeit konnte in einer ersten Versuchsreihe mit Polypropylen auf einem Extruder mit einem Schneckendurchmesser von 70 mm bei der FKuR Kunststoff GmbH bereits bestätigt werden. Ein Up-Scaling des Polypropylen-Rübenschnitzel-Verbundwerkstoffs auf einem Planetwalzenextruder der Firma ENTEX wurde in dem Projekt ebenfalls bereits abgebildet.
Autoren
Dr. Sebastian Doedt,
Kunststoff-Institut Lüdenscheid,
Karolinenstraße 8, 58507 Lüdenscheid
s.doedt@kunststoff-institut.de
Dr. Rodion Kopitzky,
Fraunhofer UMSICHT,
Osterfelderstraße 23, 46047 Oberhausen
rodion.kopitzky@umsicht.fraunhofer.de
1 http://www.zuckerverbaende.de/zuckermarkt/zahlen-und-fakten/zuckermarkt-deutschland/ruebenanbau-zuckererzeugung.html
2 http://www.zuckerverbaende.de/zuckermarkt/zahlen-und-fakten/zuckermarkt-deutschland/futtermittel-aus-zuckerrueben.html
3 Die Haltbarkeit der Pressschnitzel ist aufgrund schnell eintretender fermentativer Prozesse nicht gegeben.
4 http://www.zuckerverbaende.de/zuckermarkt/eu-zuckerpolitik/eu-zuckerpolitik.html
5 Pieter .W. van der Poel, Hubert Schiweck, Thomas Schwarz; (2000) Zuckertechnologie, Rüben und Rohrzuckergewinnung, Verlag Dr. Albert Bartens KG, Berlin, S 123-151. Die Werte beziehen sich auf den wasserunlöslichen Markgehalt der Zuckerrübe.
6 Pieter .W. van der Poel, Hubert Schiweck, Thomas Schwarz; (2000) Zuckertechnologie, Rüben und Rohrzuckergewinnung, Verlag Dr. Albert Bartens KG, Berlin, S 225-228.
7 https://www.jeluplast.com/wp-content/uploads/2013/09/WPC-BIO-PLA-H60-500-14.pdf; https://fkur.com/wp-content/upload/2017/01/TD_FIBROLON_F_8530_DE-3.pdf; letzter Zugriff : 12.08.2018