Dr. Diana Freudendahl, Dr. Heike Brandt, Dr. Ramona Langner
Im Allgemeinen stehen aus industrieller Sicht Wasser und Feuchtigkeit noch häufig in Konflikt mit Klebeverbindungen, doch paradoxerweise treten in lebenden Organismen praktisch alle Adhäsionen in Gegenwart von Wasser auf. Effektive Unterwasserklebstoffe besitzen vielfältige Anwendungsmöglichkeiten; zum einen können sie in der Medizin zum Wundverschluss und zur Gewebsrekonstruktion eingesetzt werden. Zum anderen sind sie z. B. prädestiniert zum Verschluss von Lecks und Reparaturarbeiten sowie für das Anbringen von Sensoren oder anderen Bauteilen unter Wasser bzw. im feuchten Milieu. Die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet führt zusätzlich zu einem guten Verständnis der Mechanismen von natürlichen, biologischen Unterwasserklebstoffen und ermöglicht so auch die Herstellung neuer nicht-toxischer Antifoulingbeschichtungen.
Effektive Unterwasserklebstoffe, natürlich wie künstlich, zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine robuste Grenzflächenhaftung auf nassen, nativen Oberflächen mit wenig bzw. keiner Notwendigkeit zur Oberflächenvorbereitung aufweisen. Das Auftragen solcher Klebstoffe an teilweise oder vollständig unter Wasser liegenden Stellen muss (technisch) realisierbar sein, also ist beispielsweise zu frühes Verkleben oder zu starkes Verdünnen auszuschließen. Außerdem muss ein solcher Klebstoff unter diesen Bedingungen kontrolliert verfestigt und eine ausreichende Kohäsionsfestigkeit garantiert werden können. Der Einsatz synthetischer Klebstoffe, die für trockene Anwendungen entwickelt wurden, wie Cyanoacrylate oder Epoxidharze, ist für nasse Oberflächen oder unter Wasser zwar möglich, jedoch sind sie aus verschiedenen Gründen für dieses Milieu nicht gut geeignet. Dabei können sie unter Wasser teilweise sogar eine größere Kohäsionsfestigkeit aufweisen als natürliche Unterwasserklebstoffe, sie versagen jedoch häufig aufgrund von schlechter Grenzflächenhaftung in Gegenwart von Wasser. Zudem sind sie meistens giftig für lebende Zellen. Die Natur hingegen hat zahlreiche sehr effektive Lösungen für das Problem der Unterwasserverklebung gefunden, auch bei andauernden dynamischen und turbulenten Wasserbewegungen.
In der Forschung werden dazu die molekularen Mechanismen unterschiedlicher natürlicher Unterwasserklebstoffe verschiedener Organismen (wie z. B. Muscheln, Köcherfliegenlarven, Rankenfußkrebsen und Sandburgenwürmern) untersucht, wobei sowohl reversible als auch irreversible Adhäsionen von Interesse sind. Aktuelle bioinspirierte Forschungsansätze und Formulierungen basieren zumeist auf 3,4-Dihydroxy-L-phenylalanin (DOPA), einer nicht-proteinogenen Aminosäure, oder auf Koazervat-vermittelten Verklebungen. Koazervate sind kleine, kugelförmige Molekülaggregate mit membranartigen Oberflächen, die in stark verdünnten wässrigen Lösungen entstehen können. Bioinspirierte Koazervat-vermittelte Klebstoffe können z. B. aus flüssigen Mischungen von Catecholen, zu denen auch DOPA gehört, und entsprechenden Reaktionspartnern entwickelt werden. Catechole weisen als chemische Gemeinsamkeit einen Benzolring auf, der zwei direkt benachbarte Alkohol-Gruppen besitzt. Dieses Strukturmotiv ist auch für die guten Haftungseigenschaften des DOPA verantwortlich.
DOPA scheint insgesamt ein Schlüsselmolekül für die Haftung von Organismen an Oberflächen unter Wasser zu sein, wobei unterschiedliche chemische Bindungen (z. B. Wasserstoffbrückenbindungen, kovalente Bindungen, Koordination durch Metalle) zwischen dem Catechol-Rest des DOPA und der Haftfläche eine Rolle spielen. Darüber hinaus scheinen auch andere Protein-Protein-Wechselwirkungen von Adhäsionsproteinen von Bedeutung zu sein, wie z. B. hydrophobe und elektrostatische Interaktionen oder Disulfidbrücken. Viele Forschungsansätze konzentrieren sich auf Proteine oder andere Polymere, die entweder DOPA oder DOPA-analoge Verbindungen mit Catecholresten enthalten. Bei letzteren handelt es sich häufig um rein chemisch hergestellte Polymere, wie z. B. Hydrogele, die ähnliche funktionelle Gruppen für die Adhäsion beinhalten. Derzeit werden insbesondere spezielle rekombinante Proteine entwickelt. Dabei handelt es sich um biotechnologisch hergestellte Proteine, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen, Zellkulturen oder sogenannten Zell-freien Expressionssystemen gezielt erzeugt werden können. Diese Proteine beinhalten entweder das gesamte Klebeprotein entsprechender Wasserlebewesen oder aber nur spezifische Teilabschnitte. Durch die Rekombination besteht die Möglichkeit, weitere funktionelle Gruppen in die Proteinmoleküle einzufügen, wobei auch nicht-natürliche Aminosäuren in Frage kommen. Damit können sowohl das Kleben verbessert als auch zusätzliche gewünschte Eigenschaften integriert werden, wie z. B. eine höhere Toleranz der Klebeverbindung gegenüber zerstörenden Einflüssen oder selbstheilende Eigenschaften.
Eine besondere Herausforderung stellt das Design reversibler bioinspirierter Unterwasserklebstoffe dar. Hier gibt es eine Reihe verschiedener Forschungsansätze, die beispielsweise von sog. supramolekularen Wirt-Gast-Strukturen mit modifizierten DOPA-Molekülen über geckoähnliche Strukturmotive auf Silikonen bis hin zu Formgedächtnispolymeren reichen. Die Adhäsionseigenschaften der genannten Wirt-Gast Strukturen können über Temperaturänderungen gesteuert werden. Zudem konnte gezeigt werden, dass sie für ein kontrolliertes Absetzen bzw. Aufnehmen von Objekten aus Wasser genutzt werden können. Erste geckoähnliche reversible Unterwasserhaftstoffe sind ebenfalls temperaturschaltbar und könnten zukünftig beispielsweise als Haftmechanismen für eine kontrollierte Fortbewegung unter Wasser (z. B. für robotische Systeme) genutzt werden. Ein besonderer Vorteil von Unterwasserhaftstoffen aus Formgedächtnispolymeren gegenüber den vorgenannten Prinzipien ist, dass die Haftung nicht nur unter Wasser, sondern prinzipiell auch in anderen Flüssigkeiten, wie z. B. Ölen, funktioniert.
Das Feld der bioinspirierten Unterwasserklebstoffe weist insgesamt ein hohes Potenzial auf. Im Bereich der irreversiblen Unterwasserklebstoffe wurden mittlerweile sehr viele Proteinsequenzen von natürlichen, in Organismen vorkommenden Unterwasseradhesiven aufgeklärt. Allerdings bestehen beispielsweise noch große Lücken im Verständnis der Struktur-Funktionsbeziehungen und dem Zusammenspiel der verschiedenen für die Adhäsion nötigen Moleküle lebender Organismen in ihren Lebensräumen. Dazu gehören auch Erkenntnisse zur Sekretionskontrolle und zur Langzeitstabilität, die in Bezug auf die weitere Entwicklung solcher Klebstoffe von sehr großer Bedeutung sind. Zukünftige Arbeiten an bioinspirierten Unterwasserklebstoffen könnten sich einerseits darauf fokussieren, aktuelle DOPA- und Koazervat-vermittelte Klebstoffe zu verbessern oder andererseits gänzlich neue Unterwasserklebstoffe zu entwickeln, deren Haftungsprinzip auf wichtige Charakteristika solcher biologischer Adhäsive zurückzuführen ist. Hier kann die synthetische Biologie durch die Möglichkeit des Einbaus von nicht-natürlichen Aminosäuren Vorteile bringen. Die Herstellung von reversiblen Unterwasserklebstoffen steht noch am Anfang. Hier werden aktuell noch verschiedene Prinzipien auf ihre generelle Tauglichkeit hin überprüft, erste erfolgversprechende Ansätze konnten jedoch bereits identifiziert werden.
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