In der Robotik tut sich aktuell viel und es lohnt sich, auch abseits der Massenfertigung Automatisierungspotenziale systematisch zu erschließen. Zum Beispiel die Mensch-Roboter-Kooperation ermöglicht flexible, skalierbare Anwendungen, bedarf aber hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Sicherheit guter Planung.
Mehrere große Industrieroboter schweißen gleichzeitig eine Autokarosserie in Fertigungszellen, die durch Zäune gesichert sind. Funken sprühen. Weit und breit ist kaum ein Werker zu sehen. Dies ist wohl das erste Bild, das vielen in den Sinn kommt, wenn sie das Stichwort „Industrieroboter“ hören. Eine solche Produktion mit einem Automatisierungsgrad von nahezu 100 Prozent ist zwar kosten- und zeitaufwendig in der Einrichtung, aber auch hocheffizient und ertragreich, wenn es darum geht, ein gleichbleibendes Produkt über einen langen Zeitraum herzustellen.
Diese ‚klassische‘ Industrierobotik ist noch immer der Haupttreiber der Branche und weist seit Jahren kontinuierlich wachsende Stückzahlen verkaufter Einheiten und steigende Umsätze auf. So wurden 2018 weltweit 422.000 Einheiten verkauft – ein Plus von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der globale Verkaufswert lag bei 16,5 Mrd. US-Dollar, einem neuen Rekord, wie die „International Federation of Robotics“ 2019 in ihrem Jahresbericht „World Robotics“ mitteilte. Hauptabnehmer von Industrierobotern ist nach wie vor die Automobilindustrie, gefolgt von der Elektro- und Elektronik- und an dritter Stelle der Metallindustrie sowie dem Maschinenbau.
Das Bild der vollautomatisierten Produktion wie eingangs beschrieben ist dabei nur eine von unzähligen Anwendungen, die mittlerweile gewinnbringend mit Robotern gelöst werden können. Der Markt ist vielfältig und bildet ab, was sowohl technologisch möglich ist als auch von Industrie und Gesellschaft vermehrt gefragt wird – Technologieschübe gehen einher mit Marktbedürfnissen.
Technologien und Märkte
Zu den Technologieschüben gehören beispielsweise Entwicklungen wie der zunehmende Einsatz von Sensorik: Roboter werden „kognitiv“, können also „wahrnehmen“ und basierend auf Sensordaten Programme und Aufgabenausführungen selbstständig anpassen. Am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA läuft in diesem Kontext die vom Land Baden-Württemberg geförderte Initiative „Kognitive Robotik“. Die Initiative macht kognitive Technologien in Demonstratoren erlebbar. In Labors werden kundenindividuelle Prozesse und Werkstücke auf Machbarkeit getestet. Und Veranstaltungen bieten die Möglichkeit, sich mit bis zu 70 Roboterexperten des Fraunhofer IPA auszutauschen.
Hinzu kommt als weiterer Technologieschub ein reiches Angebot an frei verfügbarer, industriell nutzbarer Open-Source-Software wie das Robot Operating System ROS. Dessen Erfolgsgeschichte ähnelt Open-Source-Entwicklungen wie dem Betriebssystem Linux für PCs oder Android für Smartphones. ROS verhilft nicht nur aber insbesondere kleineren Firmen, ohne viele eigene Ressourcen schnell marktreife Roboterlösungen zu entwickeln. Die Initiative ROS-Industrial mit mehr als 70 Mitgliedern weltweit sorgt dafür, dass die Software den Bedarfen der Industrie entspricht und auch nichttechnische Fragen z. B. zu Lizenzen, Haftung und Sicherheit geklärt werden. Das Fraunhofer IPA leitet den europäischen Ableger des Konsortiums und bietet regelmäßig Weiterbildungen zu ROS an. Im Dezember findet in Stuttgart die jährliche ROS-Industrial-Konferenz statt, auf der in vergangenen Jahren Vertreter namhafter Firmen, darunter Google und Amazon, über Fortschritte und Einsatzmöglichkeiten mit ROS berichteten.
Von Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz (KI) und dem Teilgebiet des maschinellen Lernens (ML) gehen ebenfalls starke Technologieschübe aus. Mithilfe umfangreicher Datenmengen können Roboterprogramme zunehmend automatisiert erstellt werden. Roboter werden robuster im Umgang mit Unsicherheiten wie Prozess- oder Lagetoleranzen und agieren autonomer im Sinne einer „Automatisierung der Automatisierung“. Unternehmen, die einen für sie passenden Einstieg in den Einsatz von ML für ihre Produktion suchen, bietet das „Zentrum für Cyber Cognitive Intelligence“ (CCI) am Fraunhofer IPA verschiedene Beratungs- und Förderformate – vom kurzen Quick Check, um Potenziale für eine ML-Anwendung auszuloten, bis hin zu mehrmonatigen Realisierungsprojekten.
Neben den beispielhaft genannten Technologieschüben resultiert die Vielfältigkeit des Robotermarktes auch aus sich wandelnden Marktbedürfnissen. Zu diesen gehört unter anderem, dass Unternehmen auf gesellschaftliche Megatrends wie die zunehmende Individualisierung oder den demographischen Wandel reagieren können möchten und müssen. Gefragt sind deshalb Automatisierungslösungen, die Produktionen flexibel und langfristig wandlungsfähig machen. Sinkende Losgrößen bis hin zum personalisierten Produkt in Stückzahl 1 können dann wirtschaftlich gefertigt werden, wenn Produktionsanlagen auf diese Varianten reagieren können und nicht jedes Mal eine aufwendige Umrüstung nötig ist. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen und suchen deshalb nach Lösungen, mit denen sie ihre Fertigungskapazitäten erhalten können. Dazu gehört auch, ältere Angestellte bestmöglich zu unterstützen und körperlich entlasten zu können.
Automatisierungspotenziale systematisch erschließen
Vieles spricht also aktuell für den Einsatz von Robotern: Das Technologieangebot und Unterstützung bei der Umsetzung sind vielfältig vorhanden, und marktseitig gibt es gute Gründe, auf Roboter zu setzen. Aber den Einstieg in die Automatisierung mit Robotern zu finden, ist für manches Unternehmen nicht einfach. Welche Aufgaben eignen sich überhaupt für eine Automatisierung, kann es auch eine Teilautomatisierung geben, was spricht technisch, was wirtschaftlich dafür? Müssen bestehende Prozesse angepasst werden, um den Robotereinsatz zu ermöglichen? Und wie könnte eine prototypische Anwendung aussehen?
Um diese Fragen fundiert beantworten zu können, sollte ein Unternehmen den Robotereinsatz systematisch planen. Eine Automatisierungs-Potenzialanalyse (APA), wie sie das Fraunhofer IPA anbietet, kann ein Startpunkt sein. Die APA ist eine Methodik, um mögliche Automatisierungspotenziale zum Beispiel in bisher manuellen Montagebereichen systematisch zu identifizieren. Sie wurde bereits weltweit in Kundenprojekten eingesetzt und ist ein kompaktes Verfahren, das Unternehmen innerhalb weniger Wochen Kenntnisse für Investitionsentscheidungen bereitstellt. Bei der APA nehmen die IPA-Experten während einer (auch virtuellen) Begehung der Produktionsanlage alle Montageschritte bzw. -prozesse chronologisch auf. Für jeden Schritt dokumentieren sie die Art der Teilebereitstellung und den Montageprozess selbst. Die APA bietet nun verschiedene Bewertungskriterien, die je nach Kundenanforderung unterschiedlich gewichtet werden können. Hinzu kommen Untersuchungen zu möglichen Zeiteinsparungen und ergonomischen Eigenschaften. Interessierte Unternehmen können die APA in einem ersten Schritt auch selbst ausprobieren, denn sie ist seit kurzem als App verfügbar. So lassen sich große Datenmengen besser auswerten und ggf. vergleichen, außerdem können quantitative Analysemethoden genutzt werden. Informationen zur App sind auf der Webseite ipa.fraunhofer.de/apa zu finden.
Ergibt die APA, dass für die aktuellen Umstände die (Teil-)Automatisierung eines Prozesses nicht möglich oder lohnenswert ist, gibt es neben dem Verbleib bei der manuellen Ausführung noch einen alternativen Weg: Dieser heißt „Design for Automation“. Das meint, Produkte so zu gestalten oder ihre Gestaltung so anzupassen, dass eine automatisierte Herstellung problemlos möglich ist. Hierfür steht ein Fragenkatalog bereit, anhand dem sich bestimmen lässt, wie ‚automatisierungsfreundlich‘ ein Produkt ist. Die Fragen beschäftigen sich beispielsweise mit der Modularität einer Produktstruktur, mit der Verwendung von standardisierten Komponenten oder der Anzahl der Bauteile. Ziel dieser Analyse ist es, mithilfe des „Design for Automation“ einen Prozess automatisierbar zu machen oder, wenn dies nicht sinnvoll ist, ihn zumindest manuell leichter ausführbar zu machen.
Mensch und Roboter im Team
Das Ergebnis einer APA muss keine Entweder-oder-Lösung sein: Zwischen der Vollautomatisierung und der manuellen Prozessausführung kann als flexible Zwischenlösung die Mensch-Roboter-Kooperation (MRK) empfehlenswert sein. Sie bietet Mehrwerte wie Wandlungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und eine langfristige Anlagennutzung. Denn das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine und die Möglichkeit, die jeweiligen Tätigkeiten abhängig von den Produktionszahlen zu skalieren, lässt Unternehmen Handlungsspielraum. Insbesondere durch die zahlreichen Modelle an Leichtbaurobotern, die in den letzten Jahren auf den Markt kamen, hat die MRK an Bedeutung gewonnen, denn die kleinen, kompakten Roboter sind per se sicherer als Schwerlastroboter und bedürfen weniger Peripherie wie Zäunen. Sie lassen sich also sehr gut in manuelle Arbeitsplätze integrieren.
Zudem kann MRK genauso auch mit großen Robotern umgesetzt werden. So kann z.B. bei Schweißapplikationen der Roboter die schweren Großbauteile autonom handhaben und ab einer Zielposition dirigiert der Bediener ihn wie ein leichtgängiges und vorausschauendes Handlingsgerät durch Handführung an seine Zielposition und richtet die Bauteile zueinander aus. Auch in Kombination mit mobilen Plattformen sind Leichtbauroboter inzwischen verfügbar und lassen sich dabei an unterschiedlichen Stationen zum Entnehmen oder Bestücken von Bauteilen oder für Montageprozesse andocken. Dabei kann die mobile Station vom passiven, fahrbaren Arbeitstisch mit einfachen Rollen bis
hin zum Transportsystem mit autonomer Navigation und Flottenmanagement variieren.
Sicher und wirtschaftlich
Damit eine MRK-Anwendung allerdings die Erwartungen des Unternehmens erfüllt, müssen Fragen der Wirtschaftlichkeit und Mehrwerte systematisch angegangen werden. Während der Roboter seine Stärken wie Wiederholgenauigkeit, Ausdauer, Geschwindigkeit und Traglast ausspielen kann, trägt der Werker mit seinen Stärken der kreativen Lösungsfindung, Entscheidungsfähigkeit und Geschicklichkeit zum Prozesserfolg bei. MRK muss sich messen lassen mit den vergleichsweise hohen Fixkosten und der geringen Variantenflexibilität einer Vollautomatisierung sowie mit den relativ hohen variablen Kosten einer manuellen Ausführung, die allerdings eine hohe Variantenflexibilität bietet.
Ein weiterer Aspekt ist die Sicherheitsfrage, die für jede MRK-Anwendung neu geklärt werden muss. Hier tut sich forschungsseitig auch am Fraunhofer IPA viel. So haben die Experten beispielsweise das Tool „CARA“ (Computer-Aided Risk Assessment) entwickelt. Es hilft dabei, MRK-Anwendungen ein Stück weit automatisch hinsichtlich der Sicherheit zu bewerten und zu dokumentieren. CARA prüft die einzelnen Prozessschritte verbunden mit den eingesetzten Ressourcen (Werkzeugen), sogenannten Produkt-Prozess-Ressource-Tupeln, die bereits in einer zentralen Datenbank hinterlegt sind und die ein Systemintegrator auswählen kann. Darauf basierend gibt das Tool mögliche Gefährdungen sowie geeignete Sicherheitsmaßnahmen aus.
Zudem berät das Institut im Rahmen des Forschungsprojekts „RoboShield“ bei der sicheren Umsetzung von MRK-Anwendungen. Noch im Herbst dieses Jahres wird es einen Open Lab Day in Stuttgart geben, an dem sich Unternehmen unter anderem zur sicheren MRK beraten lassen können.
Autor:
Dr.-Ing. Werner Kraus leitet die Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA;
werner.kraus@ipa.fraunhofer.de
+49 711 9701049.