Das Institut Laue-Langevin (ILL) und die European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) arbeiten zukünftig mit den führenden europäischen Raumfahrtunternehmen OHB System AG und MT Aerospace AG zusammen, um Herausforderungen der Branche anzugehen. Sie bündeln ihre Kräfte, um mittels Röntgenstrahlung und Neutronen die Charakterisierung von Werkstoffen für die Luft- und Raumfahrt zu verbessern und gleichzeitig die Herstellungsprozesse effizienter zu gestalten.
Die Erforschung des Weltraums hat viele gesellschaftliche Vorteile mit sich gebracht, die die Lebensqualität auf der Erde erheblich verbessert haben. Die ersten Satelliten lieferten entscheidendes Wissen und Fertigkeiten in der Telekommunikation, Navigation und Fortschritte bei der Wettervorhersage. Die erfolgreiche Erkundung des Weltraums umfasst eine Fülle an Missionen, die fortschrittliche Systeme und Fähigkeiten erfordern. Diese werden die Entwicklung vieler kritischer Technologien, einschließlich hochentwickelter Materialien und Strukturkonzepte beschleunigen. Kenntnisse und Möglichkeiten aus der angewandten Forschung ermöglichen die Entwicklung neuer Materialien und Herstellungsmethoden für Weltraumprodukte. Diese ebnen wiederum den Weg für künftige erfolgreiche Weltraummissionen, sowie Einsatzmöglichkeiten auf der Erde. Im Jahr 2016 wies der weltweite Raumfahrtmarkt ein Volumen von 345 Mrd. USD (296 Mrd. EUR / £ 262 Mrd.) auf. Die Entwicklung innovativer Technologien ist ein Schlüsselfaktor, damit Europa auf diesem globalen und wettbewerbsintensiven Sektor auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielt.
Für weitere Innovationen in der Weltraumforschung und -technologie sowie ihrer Anwendung ist es entscheidend, europäische, wissenschaftliche und technische Ressourcen technologieübergreifend für die Industrie zu bündeln. Diese Absicht spiegelt sich in einem Memorandum of Understanding wider, das von ILL und ESRF und den führenden europäischen Raumfahrtunternehmen OHB System AG und MT Aerospace AG unterzeichnet wurde. Als weltweit führende Forschungszentren für Neutronenforschung bzw. die Forschung mit Synchrotronstrahlung werden ILL und ESRF ihre „best-in-class“ Ressourcen, Anlagen und ihr Know-how einbringen, um gemeinsam mit Experten der OHB System AG und der MT Aerospace AG Herausforderungen auf dem Gebiet der Charakterisierung von Werkstoffen und Fertigungsprozessen für die Luft- und Raumfahrt anzugehen.
Zusammen verfügen die beiden deutschen Schwesterunternehmen über mehr als 85 Jahre Erfahrung in Raumfahrtprogrammen. Die OHB System AG deckt die gesamte Palette der Satellitenanwendungen ab – von Telekommunikation, Erdbeobachtung, Navigation und Aufklärung bis hin zu Exploration und Wissenschaft. Die MT Aerospace AG, ein Technologieführer im Leichtmetall- und Verbundwerkstoffbau, entwickelt und liefert Schlüsselkomponenten für Ariane-Trägerraketen und Luft- und Raumfahrzeuge.
Zu den breit gefächerten Anforderungen von Weltraummissionen zählen leistungsfähige Werkstoffe für Strukturen, Treibstofftanks und Antriebssysteme, leichte, entfaltbare und aufblasbare Strukturen für die Infrastruktur bemannter und unbemannter Missionen sowie Systeme wie Antennen und Ausleger, die im All entfaltet werden, um Startmasse und -volumen zu optimieren. Dies bringt auch verschiedene Anforderungen an die verwendeten Materialien selbst mit sich; so müssen sie etwa unter den harten Bedingungen des Weltraums dauerhaft funktionsfähig sein.
Um dies voranzutreiben, entwickeln Wissenschaftler und Ingenieure intelligentere Materialien und Komponenten, für effizientere Geräte und Systeme für den Einsatz im Weltraum. Die Beherrschung der Methoden, die zu neuen und besseren Materialien führen, erfordert detaillierte Kenntnisse ihrer Struktur auf atomarer oder molekularer Ebene. Da die am ILL erzeugten Neutronen zerstörungsfrei tief in Materie eindringen können, sind sie ideal für die Untersuchung der meisten Materialien. Die hochenergetische Synchrotronstrahlung der ESRF ist ebenfalls zerstörungsfrei und kann tiefer in Materialien eindringen als Strahlung üblicher laborbasierter Röntgenquellen. Sie liefert Strukturinformationen auf atomarer bis Mikrometer-Skala, indem sie sich verschiedener Techniken bedient, etwa in-situ Mikro- und Nano-Computertomographie (CT).
Gemeinsam werden die Partner an Prototypen die Fertigung mit neuen Werkstoffen untersuchen, angefangen von Multiparameter-Studien bis hin zu Qualifikationsmodellen für Tests und Flugzulassung. Ohne die Erkenntnisse aus den tief in Materialien eindringenden Techniken von ESRF und ILL müssten viele dieser Qualifikationsschritte wiederholend getestet werden, was sowohl Zeit als auch Ressourcen bindet. Durch die Zusammenarbeit mit ILL und ESRF erhalten die OHB System AG und die MT Aerospace AG Zugang zu zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden (Non-Destructive Investigation, NDI), die die Untersuchung großer, komplexer Teile wie Halterungen, Ventile, Tanks und Strukturen auf der einen sowie elektronische Bauteile und Leiterplatten auf der anderen Seite ermöglichen.
„Die Zusammenarbeit mit ILL und ESRF ist ein wichtiger Eckpfeiler für wettbewerbsfähige Fertigungstechnologien“
„Europa betreibt das leistungsfähigste Netzwerk von Forschungsinfrastrukturen für Materialwissenschaften, darunter seine weltweit führenden Flaggschiffe ESRF und ILL, um Materie mit Röntgenstrahlen und Neutronen zu untersuchen. Dass die europäische Raumfahrtindustrie diese Instrumente nun für ihre Entwicklungen nutzen kann, stärkt in diesem Technologiesektor die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Die Vereinbarung mit der OHB System AG und MT Aerospace AG legt hierbei den Grundstein für den weiteren Fortschritt“, sagt Professor Helmut Schober, Direktor des ILL.
„Für einen Satellitenhersteller ist es unabdingbar, permanent neue Konzepte, neue Systeme und Prozesse zu entwickeln. Der Einsatz neuer Werkstoffe und entsprechender Fertigungsprozesse sind wichtige Hebel, um Leistung, Zuverlässigkeit oder Kosteneffizienz unserer Raumfahrtprodukte zu verbessern. Da die Qualitätsanforderungen an unsere Produkte so anspruchsvoll sind, spielt die Überprüfung der Materialqualität in allen Schritten der Implementierung von Systemen für den Einsatz im Weltraum eine immer wichtigere Rolle. Die neuen Methoden und Technologien, die von unseren wissenschaftlichen Partnern entwickelt wurden, werden uns helfen, an der Spitze der Satellitentechnologie und -systeme zu bleiben“, sagt Andreas Lindenthal, COO der OHB System AG.
„Die Zusammenarbeit mit ILL und ESRF ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer Entwicklungsarbeit für wettbewerbsfähige Fertigungstechnologien. Die Vereinbarung ermöglicht eine höchst effektive und innovative Zusammenarbeit zwischen Raumfahrtingenieuren und Forschern bei zukünftigen Entwicklungsprojekten. Neutronen und Synchrotronstrahlung eröffnen hervorragende Untersuchungsmethoden für neue Werkstoffe zur Herstellung von Satelliten und Trägersystemen. Sie vermitteln ein viel besseres Verständnis des Materialverhaltens in Verbindung mit modernen Fertigungsprozessen“, ergänzt Roland Schneider, Vice President und Leiter Technologieprogramme der MT Aerospace AG.
Mit der Zusammenarbeit bietet ILL der OHB System AG und der MT Aerospace AG einen einzigartigen Zugang zu ihrem Portfolio weltweit führender und hochspezialisierter Neutroneninstrumente und zur Expertise ihrer erfahrenen wissenschaftlichen und technischen Mitarbeiter. Die Einrichtungen am ILL bieten ein großes Spektrum an Probenumgebungen, mit denen die realen Arbeitsbedingungen abgebildet werden können: extreme Temperaturen und Drücke, magnetische Felder und mechanische Belastung. Sie werden daher eine wesentliche Rolle bei der in-operando Analyse der industriellen Prozesse spielen, die für den Fortschritt entscheidend ist. Eine engagierte Gruppe von Ingenieuren und Wissenschaftlern wird bei allen Aspekten des Projekts behilflich sein – von der Definition des Problems über die Datenanalyse bis hin zum Abschlussbericht.
Mit der Unterzeichnung der Absichtserklärung bringen alle Parteien zum Ausdruck, dass sie eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der verbesserten Charakterisierung von Werkstoffen und Herstellungsprozessen für die Luft- und Raumfahrt für friedliche Zwecke in gemeinsam vereinbarten Bereichen beabsichtigen.
Über ILL
Das Institut Laue-Langevin (ILL) ist ein internationales Forschungszentrum mit Sitz in Grenoble, Frankreich. Getragen von Frankreich, Deutschland und Großbritannien, in Partnerschaft mit 10 anderen europäischen Ländern, ist das ILL seit fast 40 Jahren weltweit führend auf dem Gebiet der Neutronenstreuung. Das Institut betreibt eine der stärksten Neutronenquellen der Welt und stellt Wissenschaftlern einen extrem hohen Neutronenfluss an rund 40 hochmodernen und ständig weiterentwickelten Instrumenten zur Verfügung. Die am ILL durchgeführten Forschungsarbeiten umfassen eine breite Palette von Disziplinen wie Biologie, (grüne) Chemie, Materialwissenschaften, Festkörperphysik sowie Grundlagen- und Kernphysik. Im Rahmen von FILL2030 (einem Projekt, das im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 731096 durch das EU-Programm Horizon 2020 finanziert wird) entwirft das ILL sein neues Geschäftsmodell, um die Gemeinschaft der Neutronennutzer mit optimierten Diensten und finanzieller Stabilität bis über das Jahr 2030 hinaus zu unterstützen. www.ill.eu
Über ESRF
ESRF – die European Synchrotron Radiation Facility – ist die weltweit führende Quelle für Synchrotron-Röntgenstrahlen und ein Kompetenzzentrum für fundamentale und innovationsgetriebene Forschung kondensierter und lebender Materie. Das ESRF mit Sitz in Grenoble, Frankreich, wird von 22 Partnerländern unterstützt und dient jährlich rund 10.000 Wissenschaftlern, die zu Materialien und lebender Materie im atomaren und nanometrischen Maßstab forschen. Im Jahr 2015 startete die ESRF das Projekt „Extrem Brilliant Source“ (EBS), ein ehrgeiziges und innovatives Modernisierungsprogramm, das die Brillanz und Leistung der Röntgenquelle um den Faktor 100 verbessern wird. Mit der geplanten Fertigstellung im Jahr 2020 wird EBS eine neue Ära in der Röntgenwissenschaft und für industrielle Anwendungen einleiten. www.esrf.fr
Über die OHB System AG
Die OHB System AG ist eines der drei führenden Raumfahrtunternehmen in Europa. Es gehört zum börsennotierten Hightech-Konzern OHB SE, in dem rund 2.400 Spezialisten und Systemingenieure an wichtigen europäischen Raumfahrtprogrammen arbeiten. Mit zwei starken Standorten in Bremen und Oberpfaffenhofen bei München und mehr als 37 Jahren Erfahrung hat sich die OHB System AG auf Hightech-Lösungen für die Raumfahrt spezialisiert. Dazu gehören kleine und mittelgroße Satelliten für Erdbeobachtung, Navigation, Telekommunikation, Wissenschaft und Exploration sowie Systeme für die astronautische Raumfahrt, Luftaufklärung und Prozessleittechnik. www.ohb-system.de
Über MT Aerospace
MT Aerospace ist ein international geachtetes Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie mit rund 700 Mitarbeitern an Standorten in Augsburg, Mainz, Cagliari (Italien) und Kourou (Französisch-Guyana). Als Mitglied des börsennotierten europäischen Raumfahrt- und Technologiekonzerns OHB SE entwickelt und produziert das Unternehmen Schlüsselkomponenten für die europäische Trägerrakete Ariane, die Airbus-Flotte, Weltraumfahrzeuge und Flüge. MT Aerospace ist ein Technologieführer im Leichtmetall- und Verbundwerkstoffbau und mit einem Anteil von rund 10 Prozent der größte nicht-französische Zulieferer für das Ariane-Programm. www.mt-aerospace.de
Über die OHB SE
Mit Sitz in Bremen ist die OHB SE (ISIN: DE0005936124, Prime Standard) Deutschlands erstes börsennotiertes Raumfahrt- und Technologieunternehmen. Zwei Unternehmensbereiche bieten internationalen Kunden ausgereifte Lösungen und Systeme. Mit mehr als 37 Jahren Erfahrung im Hochtechnologiesektor und seinen integrierten Kompetenzen in den Bereichen Raumfahrttechnik und Telematik, hat sich die OHB-Gruppe bestens als eine der führenden unabhängigen Kräfte in der europäischen Raumfahrt-, Luftfahrt- und Telematikbranche positioniert. Der Konzernumsatz belief sich 2017 auf 860 Mio. EUR. www.ohb.de