Janus-Partikel

Dr. Diana Freudendahl, Dr. Heike Brandt, Dr. Ramona Langner

Janus, der römische Gott des Anfangs und des Endes, und insbesondere seine Darstellung als vorwärts- und rückwärtsblickender Janus-Kopf gelten als Symbol der Zwiespältigkeit. Eben jener Name wurde daher vor etwas mehr als 30 Jahren für Partikel und Materialien gewählt, die in klar abgegrenzten Bereichen ihrer Oberfläche verschiedene und teils gegensätzliche physikalische oder chemische Eigenschaften aufweisen – in gewisser Weise also zwiespältig sind. So kann ein Janus-Partikel auf der einen Hälfte seiner Oberfläche wasserabweisend sein und auf der anderen wasserliebend. Alternativ wurden auch Janus-Partikel synthetisiert, die halbseitig z. B. unterschiedliche Farben, magnetische oder elektrische Eigenschaften oder andere Funktionalitäten aufweisen. Ihre Eigenschaften werden in jedem Fall durch ihre asymmetrische Struktur bestimmt. Die Form solcher Partikel reicht dabei von Kugeln und Hanteln bis hin zu Scheiben und Stäbchen. Im Fall von zweidimensionalem Schichtmaterial sowie Membranen kann sich die Janus-Struktur sowohl auf die Ober- und Unterseite als auch auf bestimmte Areale einer Seite des Materials beziehen. Die Partikel können sowohl aus Kunststoffen, Metallen oder Keramiken sowie als hybride Werkstoffstrukturen hergestellt werden.

Die Eigenschaften der Janus-Materialien können im Prinzip direkt auf eine bestimmte Anwendung hin zugeschnitten werden. Die Bandbreite ist dabei sehr groß: So können sie mit ihren spezifischen Eigenschaften potenziell für die Sensorik (z. B. Gase), die (Photo-)Katalyse (Wasserstoffherstellung), die Wärmeregulation (aktive Kühlung), die Stofftrennung (z. B. Meerwasserentsalzung), die Robotik (z. B. Mikromotoren) sowie im Bereich der Energiewerkstoffe (z. B. Piezoelektrik) und der Medizin (z. B. Drug Delivery Systeme) Verwendung finden.

Ein großer Teil der Forschung befindet sich noch im Grundlagenstadium, da die präzise Herstellung und das Upscaling gleichförmiger und stabiler Partikel mit kontrollierbarer Form, Größe, Zusammensetzung und spezifischen Eigenschaften große Herausforderungen darstellen. Beispielsweise können die unfunktionalisierten Partikel (Kugeln etc.) auf einer Ober- oder Grenzfläche temporär fixiert werden. Die erste halbseitige Funktionalisierung erfolgt dann durch physikalische Abscheidung, chemische Modifikation, Polymerisationsreaktionen oder Plasmaätzung.  Um die zweite Seite zu funktionalisieren, können die Partikel z. B. anschließend in umgekehrter Orientierung fixiert und mit einer anderen Funktionalität ausgestattet werden. Diese Methode ist verhältnismäßig einfach und kostengünstig umzusetzen. Die ortsspezifische Funktionalisierung von Partikeln <100 nm ist auf diese Weise jedoch problematisch, da die Rotation der Partikel an der Grenzfläche die Effizienz der Herstellung verringert. Daher werden zusätzlich sogenannte Partikelemulgatoren entwickelt, die ein Wegrollen verhindern sollen. Über diese beispielhafte Beschreibung der Herstellung hinaus gibt es mittlerweile eine ganze Bandbreite an anderen Methoden, nicht zuletzt dadurch bedingt, dass sowohl die Funktionalisierungen als auch die Partikel selbst mannigfaltig sind.

Janus-Partikel können als künstliche Mikro- oder Nanomotoren beispielsweise in der Medizin, in der Umwelt und im Bereich des Militärs verwendet werden. Das Antriebsprinzip beruht in flüssigen Lösungen (z. B. Gewässer, Körperflüssigkeiten) darauf, dass auf beiden Seiten der Partikel durch die unterschiedlichen Oberflächenfunktionalitäten ein chemisches Ungleichgewicht (z. B. Blasen oder Stoffgradienten) erzeugt wird. Dieses führt dann zur Fortbewegung in eine bestimmte Richtung. Die Erzeugung des Ungleichgewichts kann dabei z. B. durch Chemikalien, (Photo-)Katalyse, Magnetfelder oder einen thermischen Gradienten erfolgen.

Auch zur Effizienzsteigerung von heterogenen Katalysen an Grenzflächen, sowie bei Photo- oder Elektrokatalysen, können Janus-Partikel beitragen. Durch ein entsprechendes Design können amphiphile Janus-Katalysatoren die Phasenselektivität und Emulsionsstabilität der Katalysemischung verbessern und gleichzeitig eine einfache Rückgewinnung des Katalysators, auch aus komplexen Gemischen, ermöglichen. Des Weiteren kann z. B. das Aufbringen eines Photokatalysators, wie Titandioxid, auf einer Seite der Janus-Partikel die spezifische Oberfläche und die Absorptionskapazität des Photokatalysators erhöhen und gleichzeitig die Aggregation des Katalysators verringern. Für die Marktreife müssen jedoch noch einige Hürden in Bezug auf die Massenfertigung überwunden werden, wie z. B. eine gezielte Verteilung der Katalysatoren auf der Oberfläche. Zudem wird noch an der Verbesserung der katalytischen Mechanismen von Janus-Materialien für die Photokatalyse und die Elektrokatalyse geforscht.

Ein großer zukünftiger Anwendungsbereich stellt die Medizin dar. Es gibt zahlreiche Forschungsberichte zur Anwendung von Janus-Partikeln in der Biosensorik, dem Wirkstofftransport und der Wirkstofffreisetzung, insbesondere im Bereich der Krebsbehandlung. Als biomedizinisches Instrument bieten Janus-Partikel die Möglichkeit, Therapeutika sowie Sensorik oder bildgebende Technologien in unabhängigen Teilbereichen eines einzelnen Partikels räumlich kontrolliert zu vereinen. Damit stellen sie sogenannte Theranostika dar, bei denen eine therapeutische Gabe von Wirkstoffen direkt mit einer Diagnostik (z. B. in Form von Bildgebung) kombiniert wird. Auf diesem Weg können Wirk-Synergien geschaffen werden, die die Effektivität einer Therapie deutlich verbessern können. Insbesondere in den letzten fünf Jahren konnten hier größere Fortschritte erzielt werden. Es gibt für die Forschung jedoch noch viele Herausforderungen zu bewältigen, bevor Janus-Partikel ihr erwartetes Potenzial im Bereich der Nanomedizin ausspielen können. Dazu gehören neben der einfachen aber präzisen Herstellung der Partikel – im Kontext der Biomedizin besonders wichtig – die Quantifizierung der Wirkmaterialien sowie die Feststellung ihrer Freisetzungskinetik. Zudem stehen neben In-vitro-Tests mit lebenden Zellen die viel aufwendigeren In-vivo-Tests im lebenden Tier vielfach noch aus.

Auch im Bereich des Umweltschutzes und der Umweltüberwachung könnten Janus-Partikel zur effektiven Detektion und Überwachung verschiedener Schadstoffe beitragen. So können sie zur optischen Detektion von Metallen, wie Quecksilber oder Blei, sowie Bakterien (z. B. E-Coli) und Toxinen (z. B. Pilzgifte), aber auch direkt zur Dekontaminierung von Wasser (z. B. Öle, Metalle), genutzt werden. Die Nachhaltigkeit der Partikel selbst stellt dabei einen wichtigen Aspekt dar, weshalb insbesondere in diesem Anwendungsbereich biogene bzw. biokompatible Materialien sowie Strategien für deren Recycling entwickelt werden.

Das Feld der Janus-Partikel ist mittlerweile sehr vielfältig, allen gemein ist jedoch der Bedarf an nachhaltigen und zuverlässigen Methoden für die Massenfertigung, insbesondere auch im nanoskaligen Bereich. Hier sind auch spezielle Methoden für die Charakterisierung der Partikel im Rahmen der Qualitätssicherung erforderlich. Wenn es gelingt diese Hürden zu überwinden, kann das Potenzial dieser Materialien zukünftig voll ausgeschöpft werden.

Fraunhofer Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
berichtet in jeder Ausgabe exklusiv über Werkstofftrends

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