Therapeutische Nanomaterialien

Dr. Vanessa Hollmann, Dr. Ramona Langner, Dr. Diana Freudendahl

Der steigenden Anzahl an Infektionskrankheiten, sei es durch verstärkt auftretende, bereits bekannte Infektionskrankheiten, eine wachsende Zahl multiresistenter Keime oder neu auftretende Viren mit möglichem Pandemie-Potential, muss mit einer schnellen und flexiblen Arzneimittelentwicklung begegnet werden. Therapeutika auf Basis von maßgeschneiderten Nanomaterialien könnten in Zukunft neue Möglichkeiten in der Behandlung solcher, aber auch anderer Krankheiten darstellen. Nanomaterialien umfassen dabei verschiedenste Partikel mit einer definierten Größe von meist weniger als 100nm.

Zur Behandlung von multiresistenten Bakterien eignen sich beispielsweise metallhaltige Nanopartikel, welche als einzelne Metalle, wie Silber- oder Gold-Nanopartikel, genutzt werden können, aber auch als Metalloxid-Nanopartikel. Das bekannteste Beispiel für antibakterielle Nanopartikel ist Nano-Silber, was schon seit Langem für seine antimikrobielle Wirkung bekannt ist und in verschiedensten Anwendungen wie der Oberflächenbeschichtung, der Beschichtung von medizinischen Geräten, aber auch in Kosmetika oder Therapeutika genutzt wird. Nanopartikel nutzen dabei verschiedene Mechanismen zur Bekämpfung von Bakterien. Hierzu gehören unter anderem die Schädigung der Zellwand, das Blockieren intrazellulärer Abläufe oder die Freisetzung reaktiver Sauerstoffspezies. Aufgrund ihrer geringen Größe und Beschaffenheit können sie beispielsweise ins Innere der Zellen gelangen und so multiresistente Bakterien erreichen, die sich dort der Immunantwort entziehen. Des Weiteren zielen Nanopartikel meist auf chemische und physikalische Eigenschaften ab, die bei vielen Erregertypen gleich sind. Beispielsweise ist eine Vielzahl von Viren auf Glykoproteine auf ihrer Oberfläche angewiesen, um sich an Moleküle auf den Wirtszellen zu binden. Maßgeschneiderte Nanomaterialien können solche zellulären Anheftungspunkte nachahmen und die
Viren damit eliminieren.

Nanopartikel verschiedenster Metalle können auch in bioaktiven Gewebeklebstoffen zum Einsatz kommen. In Studien konnte gezeigt werden, dass eine Lösung aus Siliziumdioxid- und Eisendioxid-Nanopartikeln zur Verklebung von Geweben genutzt werden kann und dabei die Adhäsion signifikant gegenüber anderen Metalloxidpartikel-Lösungen verbessert werden konnte. Ein solcher bioaktiver Kleber kann beispielsweise genutzt werden, um Bioglas mit Knochen zu verkleben. Biogläser sind amorphe Materialien auf Silikatbasis, die sich mit dem Knochen verbinden und neues Knochenwachstum anregen können, während sie sich mit der Zeit auflösen. Sie haben daher das Potenzial, erkrankte oder geschädigte Knochen wieder in ihren ursprünglichen Zustand und ihre ursprüngliche Funktion zurückzuführen (Knochenregeneration). Die Kombination des Nanopartikelklebers mit Bioglas zeigte zudem außergewöhnlich starke gerinnungsfördernde Eigenschaften. Hybrid-Nanopartikel aus Ceroxid und Bioglas weisen ebenfalls eine sehr gute Zellkompatibilität auf. Durch die zusätzlichen antimikrobiellen Eigenschaften von Ceroxid, die vermutlich auf die Entstehung reaktiver Sauerstoffverbindungen zurückzuführen sind, zeigen solche Nanopartikel-Hybride ebenfalls eine signifikante Wirkung gegen Bakterien. Das potenzielle Anwendungsspektrum solcher bioaktiver Gewebeklebstoffe ist breit und vor allem in der postoperativen Behandlung von inneren Wunden und der regenerativen Medizin zu sehen.

Auch im Bereich chronischer Wundversorgung finden sie Anwendung. Hier können sie als sogenannte Nanozyme zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um spezielle Katalysatorpartikel, die sich an die Bakterien heften und bei Anwesenheit von Wasserstoffperoxid Sauerstoffradikale freisetzen, die die Bakterien schädigen und dadurch zerstören.

Spezielle maßgeschneiderte Eigenschaften, wie etwa Oberflächenbeschaffenheiten, befähigen Nano-Carrier bzw. -Container dazu, Wirkstoffe zu bestimmten Zielorten im Organismus zu transportieren. So können Nanoschwämme mit ihren porösen Eigenschaften zum Beispiel Wirkstoffe aufnehmen und als Drug-Delivery-Systeme fungieren. Spezifische Moleküle auf der Oberfläche von Nanopartikeln ermöglichen etwa das Durchqueren der Blut-Hirnschranke, wodurch bestimmte Medikamente (z. B. gegen neurodegenerative Krankheiten) ins Gehirn transportiert werden können. Peptidgesteuerte, mit Wirkstoff beladene Nanopartikel können so modifiziert werden, dass sie sich ausschließlich und spezifisch an bestimmte Bakterien binden (z. B. an Staphylococcus aureus). Damit können Infektionen nicht nur wirksamer bekämpft werden als mit frei eingesetzten Wirkstoffen, sondern umliegendes gesundes Gewebe wird durch den zielgenauen Einsatz vor einer Schädigung geschützt. Insgesamt zeigen therapeutische Nanopartikel eine allgemein erhöhte Wirksamkeit, bei gleichzeitig verringerter Wirkstoffmenge sowie eine Verringerung unerwünschter Nebenwirkungen. Ebenso kann durch in Nano-Carrier verpackte Wirkstoffe potentiell eine Resistenz, also Unempfindlichkeit des Organismus gegenüber dem Arzneimittel, umgangen werden.

Der Einsatz von Nanomaterialien wird aber nicht nur gegen bakterielle Infektionen erforscht, sondern auch zur Behandlung viraler Infektionen. Nanopartikel können zum Beispiel mit spezifischen Rezeptoren auf der Oberfläche ausgestattet werden und somit Bindungsstellen für bestimmte Viren bieten, die nach Bindung an die Nanopartikel nicht mehr in die Körperzellen eindringen können. Beispielsweise wurden kürzlich zelluläre Nanoschwämme entwickelt, die Proteinrezeptoren der Wirtszellen von Sars-Cov-2 aufweisen. Ein großer Vorteil hierbei ist, dass sie unabhängig von viralen Mutationen ist und auch verschiedene Subtypen des Virus neutralisieren kann, solange das Ziel, also die Wirtszelle, identisch bleibt.

Auch in der Impfstoffentwicklung spielt der Einsatz von Nanopartikeln mittlerweile eine Rolle. So soll ein an Nanopartikel gekoppelter Impfstoff in Zukunft beispielsweise direkt an die Langerhans-Zellen in der Epidermis binden können, welche für die Aktivierung des Immunsystems des Körpers verantwortlich sind. Hier könnte so nicht nur durch den Impfstoff direkt eine kontrollierte Immunantwort ausgelöst werden, sondern es ergäben sich beispielsweise auch Möglichkeiten für Immuntherapien gegen Krebs. Ein auf Mosaik-Nanopartikeln basierender Impfstoff, der mit verschiedenen Coronavirus-Spike-Fragmenten ausgestattet wurde, soll sogar gleichzeitig gegen diverse Coronaviren wirken, indem diese Mosaik-Nanopartikel eine Antikörperbildung gegen in der Impfung präsentierte Varianten, aber auch gegen andere Varianten (durch gemeinsame Merkmale) hervorrufen und somit potenziell auch gegen neu auftretende Varianten schützen könnten.

Neben der Nutzung von maßgeschneiderten Nanomaterialien als antivirale oder antibakterielle Gegenmaßnahme oder als  Drug-Delivery-Systeme, mit denen eine zielgenaue Medikamentenfreigabe im Körper erzielt werden kann, bietet die Entwicklung von neuartigen Nanomaterial-basierten Impfstoffen vielversprechende und vielfältige Anwendungsgebiete der Nanotechnologie in der zukünftigen Medizinversorgung. In vielen Bereichen ist die Nanomaterial-basierte Medizin daher eine zukunftsfähige vielversprechende Methode.

Fraunhofer Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen
Appelsgarten 2, 53879 Euskirchen
berichtet in jeder Ausgabe exklusiv über Werkstofftrends

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